Die Liebe des Kartographen: Roman
seinen Arbeiten zuwenden zu können. Wie hochnäsig er sich auf einmal vorkam! Dieses Bewusstsein überraschte ihn in dem MaÃe, wie es ihn ärgerte. Aber es war da, und er konnte nichts dagegen tun.
Und noch andere Gedanken konnte er nicht mehr loswerden. Es waren Frauenhände, die das Holz und den Stein aneinanderrieben.
Es war ein Frauenkörper, der sich über das winzige Feuer beugte, und es war der Atem einer Frau, der den Flammen Leben einhauchte.
Was für ein blinder Tölpel war er eigentlich gewesen? Hatte er Xelia erst nackt beim Baden erleben müssen, um zu erkennen, dass sie ein Weib war und kein geschlechtsloses, wildes Wesen?
Lohgelb schienen die Flammen des Feuers durch den Höhlenvorhang, es gelang ihnen sogar, ein wenig von ihrer Wärme nach innen abzugeben. Die Hände hinterm Kopf gefaltet, dachte Philip daran zurück, wie er nach seinem Sturz aus der Ohnmacht aufgewacht war und Xelia zum ersten Mal gesehen hatte. Er hatte nicht sie, die Frau, gesehen. Nein. Er hatte eine Wilde gesehen, deren Anblick ihn grauste und deren Nähe ihm körperliches Unwohlsein bereitete. Eine Hexe. Eine Diebin, die sich im Wald versteckte. Mit so jemandem wollte er nie und nimmer zu tun haben. Und was war stattdessen geschehen? Sie hatte im Laufe der Zeit Gefühle in ihm ausgelöst, die so unbekannt wie beängstigend für ihn waren.
Xelia, die er nur noch wenige Tage um sich haben würde. Die er bei Hyronimus in guten Händen wissen würde. Aber so weit waren sie ja noch nicht â Gott sei Dank.
Gott sei Dank?!
Auch Xelia war unruhig. Sie fühlte sich wie ein eingesperrtes Tier. Ihre FüÃe schienen auf einmal so rastlos, als könnten sie den nächsten Morgen nicht mehr abwarten. Als das Feuer endlich brannte, stellte sie Wasser auf, um Tee zu kochen. Danach musste sie sich zwingen, sich hinzusetzen. Es war keine freudige Aufregung, die sie überfallen hatte. Aber es war auch keine Angst vor dem, was auf sie zukommen mochte. Sie ahnte viel mehr, dass sich ihr Leben nun zum zweiten Mal grundlegend ändern würde und dass sie wieder keinerlei Einfluss darauf hatte. Natürlich, die Treffen mit Samuel waren ihr eigener Wunsch gewesen. Wie auch ihr Plan, durch seine Hilfe der Gerberei zu entrinnen. Aber es war so, als habe sie lediglich ein kleines Steinchen angestoÃen, das letztendlich als felsige Lawine auf sie hinabgestürzt war. Welchen Erdrutsch würde sie nun durch ihren Entschluss, mit Philip zu gehen, auslösen? Würde sie dieses Mal endgültig und für immer unter den Steinmassen begraben werden? Oder würde das kleine Steinchen endlich den Weg befestigen, den sie zu gehen hatte?
Obwohl keiner den anderen in der dunklen Höhle richtig sehen konnte, war die seltsame Stimmung für beide zu spüren. Gerade so, als sei eine dritte Person mit im Raum. Xelia fühlte, dass Philip dadurch verunsichert war, er diese Atmosphäre als störend empfand.
Der Tee war dunkel und bitter, als sie ihn endlich vom Feuer nahm und in ihre TrinkgefäÃe umschüttete. Sie reichte den Becher an Philip weiter. Schweigend tranken sie die heiÃe Flüssigkeit, die Schluck für Schluck ihre Kehlen hinabglitt und in ihren Leibern wieder abkühlte. In der Dunkelheit bekam plötzlich jeder ihrer Handgriffe etwas Symbolhaftes, Bedeutungsschweres, und die Luft in der Höhle schien noch dicker zu werden.
Es drängte Xelia auf einmal danach, Philips Hand in die ihre zu nehmen, ihm zuzureden wie einem verängstigten Kind, ihm Sicherheit zu geben in dieser Nacht, in der sie beide, so schien es ihr, eine Schwelle überschritten. Für sie würde morgen ein neues Leben beginnen â falls es so etwas überhaupt gab, ein neues Leben . Aber um was ging es für Philip? Sie hörte sein Räuspern und spürte, dass er hellwach war. Nicht nur seine Augen und sein Geist waren es, sondern auch sein Herz und seine Seele. Ihr gegenüber saà nicht mehr der unnahbare Stuttgarter Beamte, sondern Philip. Einfach Philip. Und sie war nicht mehr die Tochter eines Gerbers, als Mörderin gesucht und ausgestoÃen, sondern sie war Xelia. Wären sie allein auf dieser Welt gewesen, hätte es nicht anders sein können. Sie waren ein Mann und eine Frau. Nicht mehr und nicht weniger. Und während sie auf den nächsten Tag warteten, von dem sie noch nicht mehr wussten, als dass er immer näher kam, waren
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