Die Liebe des Kartographen: Roman
aber er hatte sie stets mit Nichtbeachtung gestraft und auf diese Weise schnell wieder vom Hals bekommen. Die Weiber und ihre Liederlichkeit, ihre romantischen Augenaufschläge, ihre Verliebtheit, der ganze Popanz des Werbens â damit hatte er noch nie etwas anfangen können. Wozu auch?
Doch das hatte nun wirklich alles nichts mit Xelia zu tun, schalt er sich. Er spürte, dass ihre Frage nicht kokett gemeint war wie die eines Dienstmädchens, das sich vor ihrem Angebeteten drehte und auf schöne Worte wartete. Für Xelia war es wichtig, dass er ihr eine ehrliche Antwort gab. Und die richtige. Und darin lag die Schwierigkeit!
Ihre Lumpen waren nicht das Problem, obwohl sie jämmerlich aussahen und er sich vornahm, bei nächster Gelegenheit wenigstens einen Mantel für sie zu kaufen. DasProblem war: Ihr Haar glänzte selbst im straff geflochtenen Zopf wie fein gesponnener Flachs, ihre Augen waren tiefer als jeder Bergsee, den er bisher gesehen hatte, und ihre Wangen gerötet und unschuldig wie die eines Kindes. Sie war zwar so mager wie das Essen, das sie ernährt hatte, aber ihr Körper war der einer Frau. Mit gewissen Rundungen und weich und â¦
Ihm war, als sähe er sie zum allerersten Mal. Wie sollte er sie bloà vor Männerblicken schützen? Weiber wie sie waren in den Augen der meisten doch nichts anderes als Freiwild. Das gejagt und erlegt und ausgeschlachtet zurückgelassen wurde, wenn die Herrschaft erst einmal ihren Hunger an dem jungen Leib gestillt hatte.
Xelia zappelte schon ungeduldig in Erwartung einer Antwort. »Du siehst manierlich aus«, brummte Philip schlieÃlich und begann, seine Sachen zusammenzupacken. Damit hatte er nicht gelogen. Das konnte alles bedeuten. Er spürte ihren fragenden Blick, spürte ihre zurückgehaltene Sehnsucht nach mehr Bestätigung, nach Sicherheit â und da hatte er den rettenden Einfall. »Du wirst als mein Knecht reisen! Verkleidet! Ich werde dir einen groÃen Hut aus dem Dorf mitbringen. Den kannst du dir tief ins Gesicht ziehen. Und einen Mantel dazu. Als Bursche vermummt, erkennt dich keine Menschenseele!«
Er schaute sie an. Xelia zog skeptisch die Augenbrauen hoch. Er las in ihrem Gesicht, dass es ihr beim Gedanken an den morgigen Aufbruch genauso mulmig zumute war wie ihm.
~ 30 ~
E s sollte ihre letzte Nacht in der Höhle sein. Alle Sachen waren gepackt. Philips Taschen waren randvoll und ausgebeult, weil Xelia sich weigerte, ihre Wasserschöpfer und ihr anderes selbstgefertigtes Werkzeug zurückzulassen. Sogar ihre restlichen Kräutervorräte hatte sie eingepackt! Zuerst hatte Philip sie davon überzeugen wollen, dass sie all diese Dinge in Blaubeuren nicht brauchen würde. Doch noch während er sprach, spürte er, wie er Xelia damit verletzte. Wie wäre ihm wohl zumute, müsste er sein Hab und Gut zurücklassen, hatte er sich gefragt, dann geschwiegen und stattdessen versucht, Platz zu schaffen für Xelias Besitz. Auch einen Beutel, der aussah, als sei er mit kleinen Münzen gefüllt, hatte sie eingesteckt.
Am Nachmittag hatte sie auÃerdem Unmengen von Beeren und Pilzen gesammelt, die sie als Wegzehrung mitnehmen wollte. Philip hatte vor, im Dorf Proviant für die nächsten Tage zu besorgen, doch das war Xelia gleich. Wenn sie selbst für etwas sorgen konnte, würde sie es auch tun.
Es war kalt und ungemütlich. Mühevoll versuchte Xelia, ein Feuer zu entfachen. Immer und immer wieder rieb sie Philips Feuerstein an kleinen Asten, bis endlich ein Funken entsprang, der wie ein kleiner Blitz durch die Nacht huschte. Nur sehr zögerlich wurde mehr daraus. Wieder einmal wurde Philip, wie so oft in der letzten Zeit, bewusst, wie viel Arbeit in solchen kleinen, alltäglichen Verrichtungen lag, über die er in seinem bisherigen Leben gar nicht nachgedacht hatte. Wasser zu kochen, eine Mahlzeit zu bereiten, ein Werkzeug herzustellen â alles kostete so unendlich viel Zeit, war so mühevoll! Kein Wunder, dass Bauern so ungebildet waren! Wann hätten sie sich bilden sollen? Erselbst war bisher in der glücklichen Lage gewesen, nicht darüber nachdenken zu müssen, wie man ein Schwein schlachtete, einen Schinken räucherte oder eine Mahlzeit daraus zubereitete. Er hatte seine Heller oder Gulden auf den Tisch gelegt und den Schinken oder die Mahlzeit, die es als Gegenleistung gab, einfach verzehrt, um sich danach wieder
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