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Die Liebe des Kartographen: Roman

Die Liebe des Kartographen: Roman

Titel: Die Liebe des Kartographen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Die Genugtuung in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Jetzt ist’s aus mit der ganzen Wichtigtuerei vom Arzt. Reden schwingen und palavern – das kann er jetzt nur noch mit seinesgleichen.« Er lachte über seinen Scherz.
    Fieberhaft dachte Xelia nach. Was hatte Adalbert dem Mann getan? Dass der für den Spitalarzt nicht viel übrig hatte, war aus seinen Worten eindeutig herauszuhören.
    Für einen Augenblick war sie wie gelähmt vor Angst. Was nun? Was sollte nun aus ihr werden? Wie ein Echo wurden dieselben Fragen immer wieder von der Wand hinter ihrer Stirn zurückgeworfen. Weil deren Hall ihren ganzen Kopf erfüllte, dauerte es eine Zeit, bis sie das kleine, aber störende Sticheln zur Kenntnis nahm, das unaufhörlich einen winzigen Punkt ihres Verstandes attackierte. Etwas bohrte in ihr, seitdem sie vom Wachmann über Adalberts Krankheit erfahren hatten.
    Und dann kam es ihr.
    So schnell wird man nicht aussätzig! Das waren die Worte ihrer Mutter gewesen, vor vielen Jahren. Mit einem Mal erinnerte Xelia sich wieder ganz genau: Sie war ein kleines Mädchen, ihre in die Höhe gestreckte Hand hatte kaum die ihrer Mutter erreicht. Sie war mit Eulalia gegangen, als diese ins Haus vom Leinenweber Fischer gerufen worden war. Damals waren in Hermansdorf, das zwei Tagesmärsche südlich von Leinstetten lag, einige Bewohner am Aussatz erkrankt und hatten das Dorf verlassen müssen. Die Frau des Leinenwebers, Amalie Fischer, war just zudieser Zeit für einige Wochen auf dem Hof ihres Bruders in Hermansdorf gewesen, um dessen krankes Weib zu betreuen. Es hatte sich herausgestellt, dass auch Amalies Schwägerin den Aussatz hatte. Als Amalie nur wenige Tage später rote Flecken im Gesicht bekam, hatte sie panisch vor Angst nach Xelias Mutter, der Heilerin, gerufen. Xelia wusste nichts von dieser sonderbaren Krankheit, aber sie sah das Entsetzen in Amalies Augen und bekam es selbst mit der Angst. Wie wild zupfte sie Eulalia am Rock und bettelte darum, das Haus zu verlassen. Doch Eulalia hatte sich Amalie nur kurz angesehen und dann lauthals gelacht. Dieses Lachen in der so angsterfüllten Stimmung – das war es, was Xelia vor allem in Erinnerung behalten hatte. So schnell wird man nicht aussätzig. Nach und nach kamen immer mehr kleine Erinnerungsfetzen zurück – und mit ihnen eine schlimme Befürchtung.
    Es war höchste Zeit, mit Philip unter vier Augen zu reden.

~ 37 ~
    Und du willst ein Freund sein?« Xelias Entsetzen hing wie ein übler Geruch zwischen ihnen. »Ich kann’s nicht glauben! Was bist du, ein Mann oder ein Feigling?« Ein Funke nur – und der Heuschober hätte sich an ihrer Wut entzündet und wäre in Flammen aufgegangen.
    Â»Jetzt mal langsam«, gab Philip zurück. »Was hat es mit Freundschaft zu tun, wenn ich versuche nachzudenken?«
    Â»Was gibt es da zu denken ?« Sie verdrehte die Augen. Plötzlich konnte sie nicht mehr verstehen, was sie an diesem Mann so anziehend gefunden hatte. Wie konnte er auch nur in Erwägung ziehen, Adalbert einfach im Stich zu lassen? »Du kannst nicht dein Leben lang nur denken, gottverdammt! Manchmal muss man einfach etwas tun !«
    Es war, als hätte Xelia damit ein Urteil gesprochen.
    Schweigen.
    Seit Stunden redeten sie nun im Kreis herum. Seit sie dem Spital den Rücken zugekehrt und im Heuschober eines abseits liegenden Hofes um Unterschlupf für die Nacht gebeten hatten. Kaum war Alois von Zaumzeug und Packtaschen befreit, der Hund mit einem Stück Brot versorgt gewesen, war sie mit ihrer Befürchtung herausgeplatzt: »Ich glaube, dein alter Lehrer ist gar nicht krank. Vielleicht hat ihn nur jemand angeschwärzt, den Aussatz zu haben!« Sie hatte ihm von Amalie Fischer erzählt, die Wochen unter einem Dach mit ihrer aussätzigen Schwägerin verbracht hatte, ohne sich selbst angesteckt zu haben. Und sie hatte ihm von Eulalia erzählt.
    Â»Es kommt nicht oft vor, dass Aussätzige geheilt werden, aber es kommt genauso selten vor, dass Gesunde sich anstecken – das hat sie mir damals erklärt, und ich hab’sverstanden, obwohl ich noch ein Kind war! Eulalia hat nie begriffen, warum die Menschen vor dieser Krankheit so viel Angst haben. Wenn die Leut’ Angst vor dem Husten hätten, könnt’ ich das verstehen , hat sie gesagt. Am Husten sterben mehr Leut’ als am Aussatz und der Pest

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