Die Liebe ist ein Daemon
in denen man plötzlich ganz deutlich den Boden sehen |167| kann. Und in diesen Augen konnte ich bisher noch nie, niemals, den Boden sehen.
Nicht einmal als wir Kinder waren und wir wegen irgendwelcher Nichtigkeiten, die in diesem Moment die ganze Welt für uns bedeuteten, unheimlich weinen mussten und von unseren Schluchzern ganz durchgeschüttelt wurden.
So verstört hat er mich noch nie angesehen. Nicht einmal in der Nacht, in der ich ihn vor der Kirche in seiner eigenen Blutlache liegend gefunden habe. Diese Leere erschreckt und beunruhigt mich zutiefst.
»So … schlimm ist es also«, flüstere ich und berühre kurz seine Hand. Ich habe einen Kloß im Hals. Ich fühle mich ganz grässlich und bin komplett verwirrt.
Er lächelt. Es ist ein leeres und bitteres Lächeln.
»Ich weiß es nicht …«
O Mann, wie ich diesen Satz hasse. Ich glaube, nur Sokrates konnte glücklich sein, »nichts zu wissen«, aber wahrscheinlich hat er nie von Gefühlen gesprochen.
Lorenzo schluckt nervös und streicht sich hektisch die Haare aus der Stirn.
»Aber was willst du …«, die Worte bleiben ihm im Hals stecken. Langsam dämmert es ihm wohl, dass es überhaupt keinen Sinn macht, den Ahnungslosen zu spielen und so zu tun, als ob er nicht wüsste, worüber ich spreche.
»Eben grad hat mir Ginevra erzählt, dass irgendwas zwischen euch nicht stimmt, und kurz darauf fährst du mit dem Auto an mir vorbei … und bist nicht alleine. Ich bin euch |168| gefolgt, das gebe ich zu, aber ich habe den Beifahrer, besser gesagt die Beifahrerin zuerst gar nicht erkannt.«
Das Auto hält an, wir sind bei mir zu Hause angekommen und ich habe es nicht einmal bemerkt.
Er macht den Motor aus.
Er dreht sich zu mir und blickt mir direkt in die Augen.
»Ich hab sie nach Hause gebracht.«
Ich nicke, was soll ich schon sagen?
»In Wahrheit war es nicht das erste Mal. Ich hab sie bereits vor zwei Tagen mitgenommen … Aber da läuft nichts, du brauchst dir da echt keine Sorgen zu machen, es gibt überhaupt keinen Grund, sich aufzuregen.«
»Bist du dir da sicher?«
»Aber ja doch! Ich quatsch halt manchmal gerne mit ihr und besonders in der letzten Zeit hab ich das ab und zu gebraucht.«
»Schwörst du mir, dass nichts zwischen euch ist?«
Das ist keine inquisitorische Frage, sondern eher eine inständige Bitte. Das lässt sich leicht an meinem erschrockenen und flehenden Blick ablesen.
Er lächelt mich beruhigend an.
»Na klar …«
»Und ich … also … was soll ich jetzt machen?«
Erst jetzt wird mir klar, dass ich mir ein Riesenproblem eingehandelt habe.
Wie man es auch dreht und wendet, ich bin in einer furchtbaren Lage, ich muss mich zwischen Pest und Cholera entscheiden. Immerhin geht es hier um meine beiden besten Freunde!
|169| »Erzähl ihr nichts davon, da war nichts und ich will nicht, dass sie sich deswegen den Kopf zerbricht.«
»Aber …«
»Bitte, ich versprech dir, dass da nichts gelaufen ist und es überhaupt keinen Grund gibt, sich aufzuregen.«
O Gott, was soll ich denn jetzt machen?
Er blickt mich flehend an.
Ich zögere.
Er hängt am seidenen Faden, jeder Atemzug von mir kann über sein Schicksal entscheiden.
»Schwör mir, dass ihr nichts miteinander habt!«
»Da kannst du dir ganz sicher sein.«
Ich forsche in diesen Augen. Sie sind jetzt wieder wie tiefe ruhige Seen, sichere Häfen, in denen man sorglos schwimmen kann. Ich tauche immer tiefer in sie ein, ich suche ein kleines Licht, einen kleinen Krümel Aufrichtigkeit. Und zu seinem Glück habe ich, glaube ich, etwas gefunden.
Ich nicke fast unmerklich.
»Ich mag dich«, sagt Lorenzo.
Ich schnaube leicht.
»Ich mag dich auch … und genau das ist mein Problem.«
|170| DAS GEHT DOCH GAR NICHT
Ich sitze am Fenster.
Es regnet.
Die Tropfen prasseln immer schneller und lauter an die Scheibe, so als ob sie hereinkommen wollten.
Ich rede nicht mit ihm. Ich grüße ihn nicht. Wenn wir uns auf dem Gang begegnen, schaue ich sofort nach unten. Doch je mehr ich versuche, ihm aus dem Weg zu gehen, desto mehr muss ich an ihn denken. Und je mehr ich versuche, nicht an ihn zu denken, desto klarer entsteht das Bild von dem kleinen Tattoo an seinem Handgelenk vor meinem inneren Auge. Es ist der Beweis, dass er ein Mörder sein könnte. Der Beweis, dass für mich Lieben und Sterben vielleicht das Gleiche ist. Ich schüttle den Kopf, aber ich werde die Gedanken nicht los, sie fliegen nur von einer Seite zur anderen und
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