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Die Liebe verzeiht alles

Die Liebe verzeiht alles

Titel: Die Liebe verzeiht alles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: WENDY WARREN
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nur schlechte Zeiten gehabt haben.“
    Einmal hatte sie sich mitten in der Nacht in seine Arme geschmiegt, seinen Duft eingeatmet und ihm zugeflüstert: „Du riechst wunderbar, so nach Sicherheit.“ Er hatte gelacht und sie noch fester an sich gedrückt. Wie konnte jener Augenblick, der noch immer zu einem der schönsten in ihrem Leben zählte, falsch gewesen sein?
    Selbst jetzt weckte seine große Nähe in ihr das Gefühl, dass dieser Moment richtig war und sie hierher gehörte. Sie wollte hierbleiben, obwohl sie erst kürzlich den Wunsch gehabt hatte, von hier wegzulaufen.
    Und wenngleich Gus eigentlich wissen musste, dass er zu dicht bei ihr stand – schließlich war er verlobt –, trat er keinen Schritt zurück. „Wie würdest du das, was zurzeit abläuft, denn nennen?“ Erneut neigte er sich zu ihr. „Ich könnte dich jetzt küssen. Deine Augen haben mir immer verraten, wann du geküsst werden wolltest. Wie jetzt.“
    Lilah schluckte und nickte kaum merklich. Ja, ihr Herz und ihre Seele gehörten noch immer ihm, wenn nicht sogar ihr Körper und ihr Verstand. Obwohl sie Angst und ein schlechtes Gewissen hatte, war es ihr unmöglich, Gus Einhalt zu gebieten oder sich ihm zu entziehen. Wenn sie den Kopf noch weiter vorstreckte, könnte er seine Lippen auf ihre pressen …
    „Keine Sorge, Lilah, ich werde dich nicht küssen. Ich spiele deinetwegen kein russisches Roulette mehr seit dem Tag, an dem ich ins Gefängnis gewandert bin.“
    Verdammt, er log das Blaue vom Himmel herunter. Ihm war heiß, und sein Körper brannte vor Verlangen. Gus war so angewidert von sich, dass er seinen Ärger nicht länger zügeln konnte. Er ließ Lilahs Kinn los, nahm eine ihrer Hände und legte Harms Uhr hinein.
    „Nettie hätte sie vielleicht gern. Ich habe gehört, sie hat einen Sohn“, erklärte er und trat einen Schritt zurück. „Ich habe deinen Schwestern nie etwas nachgetragen und hatte auch nichts gegen Harm. Du hast mich wütend gemacht – wütender, als ich mir jemals hätte vorstellen können. Im Gefängnis zu sitzen, wo man nicht viel tun kann, hilft einem allerdings, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Nach einer Weile habe ich erkannt, dass ich auf ein Fabelwesen wütend war. Du hattest nur scheinbar Liebe zu geben. Wer liebt, ist treu und loyal und bringt Opfer. Aber du konntest immer nur dich selbst lieben.“
    Gus beobachtete, wie sie blass wurde, und eigentlich hätte er jetzt Genugtuung oder Freude empfinden müssen. Aber er fühlte sich ziemlich kläglich.
    Wie sehr hatte er Lilah damals begehrt und gebraucht. Sie war die beste Medizin für sein blutendes Herz gewesen, auf dem bereits so viele Menschen herumgetrampelt hatten. Nie hätte er gedacht, dass es wieder heilen könnte. Aber als er mit Lilah zusammen gewesen war, hatte er sich fast wie neu geboren gefühlt.
    Dann hatte sie ihn verraten. Die Wunde hatte lange geschmerzt und war irgendwann grob vernarbt. Seitdem diente sie ihm als Mahnung, dass er keinem Menschen mehr eine solche Macht über sich gewähren sollte wie damals Lilah.
    Denn damals, als sie ihn verleugnet hatte und ihm klar geworden war, dass sie ihn nicht für immer wollte, war er todunglücklich gewesen und wäre am liebsten gestorben. Und er hatte eine solche Wut gespürt, dass er zum Mörder hätte werden können.
    Ja, dachte Gus jetzt, während er Lilah betrachtete, mein vernichtendes Urteil hat sie so verletzt, wie ich es mir erhofft habe. Doch empfand er keine Erleichterung und hatte auch nicht das Gefühl, dass er endlich mit der Vergangenheit abgeschlossen hätte.
    Stattdessen wurde er von schmerzlichen Erinnerungen überrollt, wie er als verliebter Achtzehnjähriger …
    Mit verschlossener Miene ging Gus an den Schließfächern der Highschool entlang, die er nun seit fast fünf Jahren regelmäßig besuchte. Aber selbst nach dieser langen Zeit war er hier ein Außenseiter. Dafür sorgte eine unsichtbare, trotzdem wirksame Barriere, die er zwischen sich und seinen Mitschülern errichtet hatte.
    Zwischen sich und den Kindern, die von ihren Eltern Lunchpakete oder Geld bekamen, damit sie sich ein Mittagessen kaufen konnten. Die seine Kleidung wiedererkannten, weil sie ihnen einmal selbst gehört hatte. Die wussten – auch wenn sie nicht aus Kalamoose stammten, sondern aus der Umgebung –, dass die meisten Mitglieder seiner Familie schon wiederholt im Gefängnis gewesen waren.
    Es fiel ihm leichter, sich außerhalb der Schule Freunde zu suchen. Außerdem war er nicht hier, um

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