Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes
zu gebrauchen war. Das war das Einzige, sonst war sie vollkommen entbehrlich. Keiner dieser Männer, die sie fickten, besudelten, folterten und vergewaltigten, würde zu ihrer Beerdigung kommen. Sie würde einfach irgendwo zusammenbrechen und liegen bleiben. Das wäre alles, und niemand würde erfahren, wie ungeheuer verfeinert und ausgebildet ihre Fähigkeit zur Selbstbeherrschung gewesen war. Immerhin lächelte sie während der ganzen Tortur und verlor nie die Kontrolle über ihr Gesicht. Aber sie würde keine Interviews geben und auch keine Bücher darüber schreiben, sie war kaum vorhanden, sie war reine Fiktion, aber eine, die sich abends die kaputten Zähne putzte, sich in ein Bett legte und bei Verkehrslärm einschlief in einer lächerlich winzigen Wohnung. Nicht so wie diese hier, Martins luxuriöse Wohnung, mit deren Quadratmeterzahl er immer angab.
Robert stand auf. Der Raum schwankte. Die Bilder an den Wänden – Fotografien von antiker Kunst, hauptsächlich Skulpturen, die den menschlichen Körper in verschiedenen heroischen Stellungen zeigten, der Diskuswerfer, der Speerwerfer, der liebende Jüngling, die stillende Mutter – wurden größer und wieder kleiner. Aber das machte nichts. Er kannte das, das war nur sein Gehirn, das sich über die anregenden Substanzen in seinem Organismus freute.
– Ich geh aufs Klo, sagte er.
Die anderen grunzten zur Bestätigung.
In der Toilette lagen uralte Computerspiel-Hefte. Er nahm eines in die Hand und blätterte darin. Mortal Kombat . Eine Figur namens Johnny Cage schlug einer anderen den Kopf ab. Dafür wurde sie mit 100.000 Punkten belohnt. Er legte das Heft zurück und öffnete seine Hose. Auf dem Cover des Hefts war das verführerische Gesicht der großbusigen Computerspielfigur Lara Croft abgebildet. Er legte das Heft in die Toilettenschüssel und urinierte darauf. Das Papier wellte sich, und schließlich bekam es ein Loch, direkt auf der Stirn von Lara Croft.
Robert überlegte, ob er spülen sollte. Vielleicht würde er so die Toilette verstopfen. Immerhin war es ein ganzes Heft. Er hätte das Deckblatt abreißen sollen. Was sollte er jetzt machen? Er hatte wieder einmal alles versaut. Neben der Toilette hing ein kleines Kästchen, auf dem eine Bierdose und ein kleiner Aschenbecher standen. In dem Aschenbecher lagen ein paar rötliche Münzen, 1-Cent-Stücke. Robert nahm eines in die Hand, drehte es ein wenig zwischen seinen Fingern, dann legte er es sich auf die Zunge. Er spülte mit Bier nach und schluckte die Münze. Es ging ganz leicht.
– Ich verschwinde dann, brüllte er, als er aus der Toilette kam.
Er hörte das verständige Knurren seiner Kollegen. Durch den strömenden Regen ging er nach Hause und saß dort reglos in seinem Zimmer auf dem Boden, inmitten leerer CD- und DVD-Hüllen, bis seine Freundin ihn anrief und fragte, ob sie bei ihm vorbeikommen könne, es sei etwas Unglaubliches passiert.
Roberts Mutter sah es nicht gerne, wenn Manuela zu ihm kam, da sie bereits zwanzig war, viel zu alt undgefährlich für einen Sechzehnjährigen. Aber jetzt war seine Mutter nicht da, also ging es.
6
– Du glaubst nicht, was ich heute erlebt habe!
Manuela fiel ihm um den Hals. Ihr langes, schwarzes Haar wehte ihm ins Gesicht. Robert klopfte ein wenig auf ihren Rücken, aber zu mehr war er nicht imstande. Sie stellte ihren Rucksack, der immer voller Mappen und Hefte war, in die sie ihre wütenden Songtexte schrieb, im Vorzimmer ab.
– Nein, lass ihn nicht da stehen, murmelte Robert und hob den Rucksack auf.
Er wollte nicht, dass seine Mutter, wenn sie nach Hause kam, auf den ersten Blick sah, wer zu Besuch war.
– Ich sag dir, das war der absolute Wahnsinn!, sagte Manuela. Mein Professor hat mir vor versammeltem Publikum erklärt, dass er mich ficken will und dass er total in mich verliebt ist, schon seit langem und so weiter, und dass er endlich einmal die Wahrheit sagen will und so. Kannst du dir das vorstellen? Es war unglaublich!
– Klingt interessant, sagte Robert.
Er konnte sich kaum auf das konzentrieren, was sie sagte. Sie redete viel zu schnell. Natürlich lag das an dem Zeug, das er geraucht hatte, aber das verschwieg er ihr. Manuela schimpfte immer mit ihm, wenn er high war.
– Interessant? Das ist das Understatement des Jahres!Es war der absolute Wahnsinn. So etwas hab ich noch nie erlebt. Ich war nicht mehr so durcheinander, seit ich am Morgen nach meinem Maturaball auf der Straße aufgewacht bin. Er war … ah, du hättest
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