Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes
dabei sein sollen, er war … irgendwie so brutal ehrlich und hat sich gleichzeitig total zusammenreißen müssen, dass er nicht explodiert. Ich schwöre dir, wenn er nicht solche Angst gehabt hätte, dass ich ihn verklage, hätte er noch um meine Hand angehalten. Oder er hätte mich vergewaltigt. Ha, dieser alte Drecksack!
Und sie klatschte begeistert in die Hände. Robert wurde schlagartig wach. Vergewaltigt , das Wort hatte ihm eine kleine Ohrfeige verpasst. Er musste an die kniende Frau aus dem Pornofilm denken, an ihre gespielte Begeisterung, mit der sie sich misshandeln ließ. Und hier stand seine zwanzig Jahre alte Freundin vor ihm und war ehrlich und aufrichtig begeistert darüber, dass ihr etwas Ähnliches in aller Öffentlichkeit widerfahren war. Wie konnte sie sich darüber freuen? Sie war vor ihren Studienkollegen gedemütigt worden und merkte es noch nicht einmal. Er, Robert, merkte es sehr wohl, sogar im eingerauchten Zustand!
– Und, was wirst du tun?, fragte er sie und setzte sich wieder zwischen die leeren Plastikhüllen auf den Boden.
Sie schloss die Tür hinter sich.
– Wie, was werde ich tun? Was meinst du?
– Ich meine, wirst du ihn verklagen oder dich sonst irgendwie an ihm rächen, ich meine, soll ich vielleicht mal zu ihm gehen und mit ihm reden?
Es dauerte eine Weile, bis Manuela reagierte.
– Du?
Sie kicherte.
– Du willst …?, wiederholte sie. Zu ihm? Wie stellst du dir das vor? Du gehst einfach zu ihm in die Sprechstunde und wäschst ihm den grauen Kopf? Hahaha!
– Was ist daran so komisch?
Sie antwortete nicht, sondern lachte nur und schüttelte ihr langes, strähniges Haar.
– Was denn?, fragte er. Glaubst du nicht, dass ich hingehe? Ich gehe hin.
– Robert, lachte sie, was redest du denn da? Hast du was genommen?
– Nein.
– Du hast was geraucht, oder? Ich seh’s dir an.
– Nein, hab ich nicht. Ich brauche nichts zu nehmen, um zu wissen, dass ich diesem Professor den Schädel einschlagen werde. Warum darf er sich aufführen wie ein Verrückter, und alle finden es toll?
– Ich finde es nicht toll, es war nur so ein … so ein surrealer Augenblick. Ich meine, wann sieht man schon, dass ein Universitätsprofessor vollkommen die Kontrolle über sich verliert und allen Anwesenden verkündet, was er wirklich empfindet? Ihn verklagen, ich weiß nicht, das würde alles zerstören. Das hätte keinen Sinn.
– Doch, natürlich hätte das einen Sinn! Er darf nicht einfach tun, was ihm gefällt!
– Er darf nicht … So kenn ich dich ja gar nicht. Sonst bist du immer der überzeugte Anarchist, dem es egal ist, was die Leute tun.
– Lass mich mit deinen Analysen in Ruhe, knurrte Robert.
Manuela setzte sich neben ihn auf den Boden.
– Na, komm, sagte sie. Sei nicht so ein Spielverderber. Wahrscheinlich hättest du dabei sein sollen, dann würdest du genau wissen, was ich meine. Na ja, in ein paar Jahren …
Aber sie beendete den Satz nicht.
Robert blickte zu Boden. Seine Finger berührten den Teppichrand, die fusseligen Fransen. Manuela drängte sich von hinten an ihn.
– Können wir nicht ins Bett gehen?, fragte sie unschuldig.
– Jetzt?
– Warum nicht?
– Aber du bist gerade … Ich verstehe das nicht, wie kannst du jetzt wollen …?
– Ist doch egal. Nur eine halbe Stunde. Ja?
– Nein!
Manuela seufzte und stand auf.
– Du hast was genommen. Wenn du so bist, lasse ich dich lieber in Ruhe. Ich muss sowieso noch lernen.
– Lernen, wiederholte Robert sarkastisch.
– Ja, ganz genau. Lernen. Ich liege nicht wie du zuhause und rauche mir den Verstand weg.
Robert schwieg. Er hörte die Zimmertür aufgehen.
– Du brauchst nicht mehr wiederzukommen, sagte er völlig ruhig.
Er war selbst überrascht, wie erwachsen er klang. Seine Stimme war die eines Mannes. Eines Mannes jenseits von Stimmbruch und pickeliger Haut. Er klang wie, wie …
– Was hast du gesagt?, fragte Manuela.
– Dass du nicht mehr zu kommen brauchst. Ich sehe jetzt, was du für ein Mensch bist. Endlich sehe ich klar.
Er hatte keine Ahnung, woher diese Sätze kamen. Aber sie drückten das, was er empfand, in vollkommener Deutlichkeit aus. Manuela pfiff durch die Zähne.
– Okay, sagte sie. Okay!
Und sie verließ das Zimmer und warf die Tür hinter sich ins Schloss.
Robert war allein.
– Du brauchst nicht mehr zu kommen, wiederholte er.
Die tiefe, ernste, männliche Stimme war noch immer da, aber schon löste sie sich ein wenig auf.
– Du brauchst nicht …
Da war
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