Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes
verstehen: Noch war das Eis bei mir nicht gebrochen. Noch gab ich zuhause mehr oder weniger dieselben Antworten, die ich auch im Konferenzzimmer der Schule gegeben hätte. Antworten, so ordentlich und langweilig wie zusammengefaltete Socken.
– Nein, sagte Sarah und drehte sich in der Dunkelheit zu mir. Was würdest du, ich meine, was würdest du tun ?
Sie sprach das Wort mit erregter Ungeduld aus. Jetzt mach schon. Ich erholte mich gerade erst von dem – damals noch: – Schock, dass mich meine Ehefrau mit einer anderen Frau betrogen hatte, viele verwirrende Gedanken beschäftigten mich, und ich wusste nicht, dass die heilsame Verwandlung längst begonnen hatte.
– Wie meinst du das?, fragte ich. Soll ich sie vielleicht schlagen?
– Ja, sagte Sarah. Würdest du sie schlagen?
– Na ja … Nein.
– Sie anbinden?, schlug sie vor.
– Warum denn?
– Also ich würde sie zuerst an einen Sessel binden und sie dann schlagen.
Sie wühlte unter meiner Bettdecke, suchte etwas. Dann fand sie es und nahm es zwischen die Finger wie eine Zigarre.
– Ich bin müde, sagte ich.
Sie ließ mich los.
– Sag schon, bettelte sie. Was würdest du tun ?
– Okay. Ich würde sie fesseln und knebeln und sie dann ohrfeigen. In Ordnung?
– Ja, das ist in Ordnung …
Sie begann, tiefer zu atmen und sich zu rekeln. Vielleicht masturbierte sie, dachte ich. Ich seufzte und dachte: Mein Gott, es ist schon spät. Morgen muss ich früh aufstehen.
– Ich würde ihr, redete ich mechanisch weiter, eine Ohrfeige nach der anderen geben. Patsch. Patsch. Links, rechts, links, rechts. Zwischendurch würde ich sie ein wenig würgen. Mit einem Draht. Was machst du?
Sarah hatte sich gegen mich gedrückt und schaukelte sich nun hin und her. Seit sie mit der Frau namens Flora zusammen gewesen war, hatte sie sich sehr verändert. Sie schien die Kontrolle über ihren Körper verloren zu haben, war andauernd bestimmten Bewegungen unterworfen, als wären es Stimmungen. Damals begriff ich noch nicht, dass sie mir einfach einige Schritte voraus war. Aber auch ich machte in dieser Nacht einen gewaltigen Sprung vorwärts.
– Ich würde sie ohrfeigen, sagte ich, und ihr dann den Knebel herausnehmen und dann –
Jetzt bemerkte ich, dass mein Penis steif gewordenwar. Ich betastete ihn, und unsere Finger berührten sich unter der Bettdecke. Es fühlte sich großartig an. Sarah begann, mich zu masturbieren. Schon nach wenigen Minuten war ich so erregt, dass ich schnaufend und – schließlich hielt ich mich damals noch für einen alten Mann – schluchzend meinen Samen auf Sarahs Handgelenk vergoss. Das Bild der gefesselten Babysitterin, die eine Ohrfeige nach der anderen erhielt, während ich nackt und mit einer gewaltigen Erektion vor ihr stand und sie auslachte, glühte in meinem Bewusstsein. Es glühte so hell, dass es irgendwann ein Feuer entfachte und eine Reihe anderer, nutzloser Bilder in meinem Gehirn verbrannte. Die alten Bilder lösten sich auf, und neue traten an ihre Stelle. Neue, wunderschöne Bilder.
Erst später sah ich, dass unser vorsichtiges Gespräch in dieser Nacht, unsere kleine Fantasie über die Babysitterin, eine in die Zukunft ausgeworfene Angel gewesen war.
2
Wenn man den Hügel, der hinter unserem Haus liegt, hinuntergeht, kann man ein paar Maisfelder sehen, die im Sommer die Gegend in ein schmutzig goldenes Licht tauchen. Die meisten Häuser in der Umgebung sind moderne Wohnhäuser. Nur ein altes Gehöft gibt es, mit einer Wiese, auf der manchmal Pferde zu sehen sind, zwei dunkle Gestalten aus geballter Muskelkraft. Der Besitzer dieser Tiere zieht sie an den Sonntagen oft die untere Dorfstraße entlang, als wollte er ihnen immer und immer wieder das eigenartige Gefängnis vor Augenführen, in dem sie den Rest ihres Pferdelebens verbringen werden: unser Dorf.
Keine Kreatur kann hier glücklich werden.
Natürlich gibt es auch ein paar schöne Stellen, zum Beispiel jene, an der eine schmale, mädchenhafte Brücke mit einem Satz über einen reißenden Bach springt. Und jenseits des Baches liegen sehr ordentliche, umzäunte Tennisplätze, auf denen aber selten jemand spielt. Hinter den Plätzen schließlich steht eine erst vor wenigen Jahren errichtete Reihenhaussiedlung, die mitten in der Stadt durchaus Sinn ergeben würde, hier draußen jedoch völlig hilflos und deplatziert wirkt. In der Siedlung wohnen viele Menschen mit Kindern. Nachmittags dringt ihr vielstimmiges Geschrei, zu jeder vollen Stunde erfrischt von
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