Die lieben Patienten!
aufgegeben hatte und eingeschlafen war.
Ich stellte den Wagen ein, führte Belly zu seinem Nachtspaziergang um den Block und schlich mich die Treppe hinauf.
Ihr Atem ging ruhig, sanft und regelmäßig, und ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
Ich stieg ins Bett und blieb, jedes Ruckeln vermeidend, so weit wie möglich von Sylvia entfernt liegen. Nach einigen Augenblicken fühlte ich einen warmen Fuß herübertasten und mein Bein berühren. Ich rutschte fort, da ich annahm, daß es nur die Vorbereitung zu einem Tritt sein würde, wobei ich beinahe aus dem Bett gefallen wäre. Aber dem Fuß folgte eine Hand, und der Hand die ganze Sylvia, die mich in ihre Arme nahm. Ich war aber immer noch nicht sicher, daß alles wieder in Ordnung war.
Dann fragte sie freundlich: »Was war denn mit Miss Chudley?« und ich wußte, daß sie mir verziehen hatte.
15. KAPITEL
Am Morgen fragte Sylvia, die, verlockend aussehend, entspannt auf ihrem Kissen lag und mir beim Ankleiden zuschaute, noch einmal: »Du hast mir immer noch nicht gesagt, was mit Miss Chudley ist.«
»Dazu hast du mir gar keine Gelegenheit gelassen«, grinste ich.
»Weißt du«, lächelte Sylvia, »ich glaube wirklich, du hast etwas von Onkel Albert in dir. In der nettesten Weise natürlich.«
»Natürlich.«
Sie seufzte. »Ist es nicht wunderbar?«
»Was?«
»Wenn man so einen richtigen guten Krach gehabt hat.«
»Es ist auch ein bißchen ermüdend«, erklärte ich.
»Aber es reinigt die Atmosphäre. Ich hoffe, wir werden nie zu alt dazu.«
»Wozu?«
»Zu einem gelegentlichen heftigen Streit.«
»Dann verstehst du mich also? Wegen Caroline?«
»Natürlich. Ich wußte doch gleich, daß nichts dahintersteckte.«
»So, dann hättest du mir das auch schon gestern abend sagen können«, schalt ich.
»Warum eigentlich?« lächelte Sylvia.
»Frauen!« knurrte ich und zog meine Krawatte fest.
»Warum sollen wir nicht unseren Spaß haben?« schmunzelte Sylvia und fiel, nachdem sie sich umgedreht hatte, sofort wieder in Schlaf.
Miss Chudley hatte sich den Oberschenkelknochen gebrochen. Es war der übliche Unfall bei älteren Personen, der oftmals das Lebensende beschleunigte. Es war nicht die Verletzung selbst, die den Tod brachte. Es war die Tatsache, daß der Patient zur Ausheilung des Bruchs notwendigerweise eine lange Bettruhe haben mußte, die häufig zu Atmungsbeschwerden und schließlich zu einer unangenehmen Lungenentzündung führte. Es gab zwei Wege, mit diesem nicht ungewöhnlichen Problem fertig zu werden. Einmal konnte man die Verletzung, wie es ja im Laufe der Zeit geschehen würde, ohne Nachhilfe ausheilen lassen. Andererseits konnte man durch einen chirurgischen Eingriff den Bruch nageln, was es dem Patienten ermöglichte, schneller wieder auf die Beine zu kommen. Im ersten Fall bestand das Risiko einer sehr langen Bettruhe, im anderen Fall die übliche Gefahr der Nachwirkungen einer Vollnarkose bei einem älteren Patienten.
Am Sonnabend, als ein tragbarer Röntgenapparat das Vorhandensein des Bruchs bestätigte, hatte ich noch einen anderen Arzt hinzugezogen, um seine Meinung einzuholen, ob er Miss Chudley als brauchbare Kandidatin für eine operative Behandlung ansähe. Er hatte nichts Gegenteiliges festgestellt, abgesehen von ihrem vorgeschrittenen Alter, und heute morgen mußte ich also mit ihr die eventuelle Nagelung des Oberschenkels besprechen.
Das Betreten von Miss Chudleys Schlafzimmer kam einem Spaziergang ins vergangene Jahrhundert gleich. Es gab dort rosenbedruckte Tapeten, ein Kohlenfeuer auf dem Kaminrost, Troddeln an den Vorhängen, eine grüne Plüschdecke auf dem Tisch, eine marmorne Waschtischplatte, auf der ein komplettes Porzellan-Waschgeschirr stand.
Miss Chudley in ihrem langärmeligen, weißen Nachthemd lag mit starken Schmerzen im Bett. Gregg, in glänzendem Schwarz mit Schürze und Haube, stand in Bereitschaft.
»Sie sind zu nett zu mir, Doktor«, sagte Miss Chudley mit einem schwachen Lächeln, bevor ich ein Wort gesagt oder irgend etwas getan hatte. »Gregg, bring dem Doktor bitte etwas zum Warmwerden.« Gregg schlüpfte schweigend aus dem Zimmer, und ich wußte, daß sie mit einer kristallenen Karaffe voll Sherry und einem Glas auf silbernem Tablett zurückkommen würde. Es wäre sinnlos gewesen, einzuwenden, daß es mir nicht im geringsten kalt sei, daß es Sonntag, mein freier Tag sei und ich deshalb schnellstens wieder nach Hause möchte und daß ich Sherry verabscheute. Etwas, »um den
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