Die Liebenden von Leningrad
Dann kniete sie sich vor ihn hin und wandte ihm den Rücken zu. »Kannst du bitte die Bänder festbinden? Aber nicht so fest wie damals im Bus.« Er rührte sich nicht, und sie blickte sich um. »Was ist los?«
»Dieses Kleid ...«, murmelte Alexander und fuhr mit dem Finger die Bänder auf Tatianas Rücken nach. Er band sie zu und sagte, sie sähe so schön aus, dass der Priester sie sicher selbst heiraten wollte. Tatiana löste ihre Zöpfe und bürstete sich die Haare nach hinten. Alexander zog seine Paradeuniform an. Er salutierte vor ihr und fragte: »Na, wie findest du mich?« Schüchtern salutierte sie ebenfalls. »Ich finde, du bist der bestaussehende Mann, dem ich jemals begegnet bin.« Er küsste sie und erwiderte liebevoll: »Und in zwei Stunden werde ich der bestaussehende Ehemann sein, dem du je begegnet bist. Herzlichen Glückwunsch, meine achtzehnjährige Braut.« Er strahlte sie an.
Tatiana umarmte ihn. »Ich kann es gar nicht fassen, dass wir ausgerechnet an meinem Geburtstag heiraten!« Alexander erwiderte ihre Umarmung. »Auf diese Weise vergisst du mich wenigstens nie.«
»Ach ja, das ist auch so wahrscheinlich«, erwiderte Tatiana. »Wie könnte ich dich jemals vergessen, Alexander?«
Der Friedensrichter hinter dem kleinen Schreibtisch auf dem Standesamt fragte sie gleichgültig, ob sie beide festen Willens und bereit seien, miteinander die Ehe einzugehen, und dann stempelte er ohne weiteres ihre Ausweise. »Und hier hätten wir deiner Meinung nach heiraten sollen?«, flüsterte Alexander, als sie hinausgingen. Tatiana schwieg. »Alexander«, sagte sie schließlich, »in unseren Pässen steht jetzt: »verheiratet, 23. Juni I942<. In meinem steht dein Name und in deinem meiner.« »Ja?«
»Was ist denn mit Dimi...«
»Schscht«, sagte er und legte ihr zwei Finger auf die Lippen.
»Wollen wir uns von diesem Bastard einschüchtern lassen?« »Nein«, stimmte sie zu.
»Er ist mir egal. Erwähne nie mehr seinen Namen, verstanden?« Tatiana nickte. »Aber wir haben keine Trauzeugen«, gab sie zu bedenken.
»Wir besorgen uns schon welche.«
»Wir könnten ja nach Hause gehen und Naira Michailowna und die anderen fragen.«
»Willst du uns den Tag völlig verderben?«
Tatiana antwortete nicht.
Alexander legte den Arm um sie. »Mach dir keine Sorgen. Ich weiß schon, wer unsere Trauzeugen sein können.« Alexander bot dem Juwelier und seiner Frau eine Flasche Wodka an, wenn sie für eine halbe Stunde mit ihnen in die Kirche kamen. Das Paar stimmte bereitwillig zu, und Sofia nahm sogar noch eine Kamera mit.
»Wie rührend«, bemerkte Sofia, während sie die Straße entlang zu St. Seraphim gingen. »Euch ist es wohl sehr ernst mit dem Heiraten, wenn ihr all diese Mühe auf euch nehmt.« Sie musterte Tatiana misstrauisch. »Du bist doch nicht in anderen Umständen, oder?«
»Doch, das ist sie«, erwiderte Alexander ungerührt. »Sieht man das nicht?« Er tätschelte ihr den Bauch. »Sie erwartet unser drittes Kind.« Er grinste. »Aber es wird das erste eheliche.« Tatiana wurde ganz rot. »Warum tust du das?«, zischte sie ihm zu. »Was denn?«, fragte er lachend. »Dich in Verlegenheit bringen?«
»Ja«, sagte sie, musste aber selbst ein Lächeln unterdrücken. »Tatia, ich möchte nicht, dass sie alles über uns wissen. Ich möchte Fremden nicht unsere Geschichte erzählen. Das hat nur etwas mit dir und mir zu tun. Und mit Gott«, fügte er flüsternd hinzu.
Tatiana stand neben Alexander. Der Priester war noch nicht erschienen. »Er kommt nicht«, flüsterte sie und blickte sich um. Der Juwelier und Sofia standen hinten an der Tür und hielten ihre Wodkaflasche umklammert. »Er wird schon kommen, keine Sorge.« »Müssen wir nicht auch getauft werden?«, wollte Tatiana wissen.
»Ich bin getauft«, erwiderte er. »Katholisch, dank meiner italienischen Mutter. Und habe ich dich nicht gestern in der Kama getauft?« Sie errötete.
»Sei tapfer«, flüsterte er. »Halte durch. Wir haben unser Ziel fast erreicht.«
Tatiana kam es plötzlich vor, als träumte sie. Einen Alptraum, aus dem sie nicht erwachte. Aber es war nicht ihr Alptraum, sondern Daschas.
Wie konnte sie nur Daschas Alexander heiraten? Noch letzte Woche hätte sie sich das nicht eine Sekunde lang vorstellen können, Sie hatte beinahe das Gefühl, als lebte sie ein Leben, das nicht für sie bestimmt war.
»Shura, denk doch nur, wie schrecklich«, flüsterte Tatiana. »Ich war so lange hinter dem Liebsten meiner Schwester her,
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