Die Liebenden von Sotschi
sich zu. Abwarten, Kamerad! Wenn er zum Versteck geht – nichts wie ran! Geht er vorbei, war's doch nur ein Naturfreund.
Peter Hämmerling griff in die Tasche seines Regenmantels, zog den Zettel mit der Nachricht heraus, faltete ihn in der Mitte und klemmte ihn zwischen die Lippen. Bei der Baumwurzel ging er in die Hocke, hielt mit der linken Hand den Schirm über sich und schob mit der rechten den nassen Belag aus Blättern und Humus von der Höhlung. Der Tatbestand war klar. Die beiden Polizisten wurden aktiv. Der eine riß das Megaphon an den Mund und brüllte: »Halt! Stehenbleiben! Hände hoch! Polizei!«
Der andere hechtete durch das Gebüsch, die MP in der Hand, verfing sich jedoch mit dem linken Fuß in der weggeschleuderten Zeltplane und schlug lang hin.
Hämmerling war beim ersten Ton hochgefahren, der Zettel fiel aus seinen Lippen, entgeistert starrte er auf den über den Waldboden rutschenden Polizisten, sah dann den zweiten Beamten durch das Gebüsch brechen und erkannte sofort, daß Flucht unmöglich war.
»Stehenbleiben!« brüllte der Beamte mit dem Megaphon noch einmal, obwohl Hämmerling sich nicht rührte. Sein gestürzter Kollege war aufgesprungen, sagte laut »Scheiße!« und hielt die MPi in Bauchhöhe vor sich hin. »Kommen Sie her!« sagte er scharf. »Ganz langsam! Strecken Sie die Hände vor!«
»Und mein Schirm?«
»Die freie Hand genügt.«
Hämmerling kam drei Schritte näher. Dann blieb er abwartend stehen und überdachte seine Lage. Die Instruktionen für solche Fälle waren klar: Falsche Aussagen, Schweigen, Versuch, herauszufinden, was die Gegenseite wußte. Im günstigsten Falle Gegenwehr – wenn sie sinnvoll war.
War sie jetzt sinnvoll?
Die Polizisten bauten sich vor Hämmerling auf. Das Regenwasser lief an ihnen herunter wie ein Wasserfall. Fast hatte Hämmerling Mitleid mit ihnen. Er hielt seinen Regenschirm auch über sie und nickte ihnen freundlich zu.
»Wir teilen ihn uns«, sagte er kameradschaftlich.
Polizisten verwirrt so etwas. Es paßt nicht in das Bild eines Täters.
»Was machen Sie hier?« fragte der Beamte mit dem Megaphon. Er hatte einen Stern mehr auf den Schulterstücken und übernahm das Verhör.
»Ich gehe spazieren.«
»Das haben wir uns gedacht.«
»Dann ist ja alles klar. Ich weiß nur nicht, warum man Spaziergänger anbrüllt und mit der Maschinenpistole bedroht.«
»In diesem Regen gehen Sie spazieren?«
»Ich liebe Regen. Wenn es in den hohen Bäumen rauscht, wenn die Tropfen so schwer aus dem Geäst fallen, wenn der Boden weich und elastisch wird – oh, es ist wunderbar, dann durch den Wald zu gehen. Man muß allerdings entsprechend angezogen sein.«
»Das können Sie Ihrer Oma erzählen!«
»Meine Oma war auch ein großer Naturfreund. Mit 81 hat sie noch gecampt. In einem Zelt! Auf einer Luftmatratze. Und woran ist sie gestorben? Nicht an einer Lungenentzündung. O nein, auf einem gebohnerten Boden ist sie ausgerutscht und hat sich den Halswirbel gebrochen!«
»Name?«
»Sophie Hallerbach.«
»Ihr Name!« brüllte der Polizist.
»Jens-Maria Budde.« Hämmerling lächelte schwach. »Das Maria stört mich immer, aber man kann sich als Täufling nicht wehren …«
»Ihren Ausweis, bitte.«
»Wenn ich ihn bei mir habe. Sofort! Im allgemeinen rechne ich nicht damit, bei einem Spaziergang nach dem Personalausweis gefragt zu werden. Oder ist geplant, daß jetzt auch Spaziergänger eine Nummer tragen müssen wie die Autos? Möglich ist in diesem Staat alles! Reitpferde müssen ja auch schon ein Nummernschild haben. Warum nicht auch Waldgänger?« Hämmerling hob seinen Schirm. »Kommen Sie näher, meine Herren. Sie werden ja naß. Wenn wir zusammenrücken, ist der Schirm groß genug.«
Die Polizisten rückten auf. Hämmerling schielte auf die Maschinenpistole. Zu seiner Zufriedenheit sah er, daß sie noch nicht entsichert war. Sie schußbereit zu machen, war zwar Sekundensache, aber eben diese Sekunden brauchte man!
Auf das Megaphon, das der andere Polizist auf dem Rücken hielt, prasselte der Regen. Der Blechtrichter wirkte wie ein Trommelfell.
»Was mißfällt Ihnen an mir?« fragte Hämmerling. »Daß ich im Regen spazierengehe? Es gibt Schwimmer, die hacken im Winter das Eis auf und schwimmen in Seen und Flüssen. Wie unnormal müssen die erst sein in den Augen der Polizei?!«
»Was wollten Sie an der Baumwurzel?«
»Da sind meistens Pilze.«
»Nicht um diese Jahreszeit.«
»Ich habe gedacht, bei der andauernden Feuchtigkeit
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