Die Liebenden von Sotschi
könnten welche herauskommen.«
Das war ein unwiderlegbares Argument. Der Polizist mit einem Stern mehr zog das Kinn an.
»Ihren Ausweis!«
Hämmerling nickte. Er klopfte seine Jacke unter dem triefenden Regenmantel ab und benahm sich sehr ungeschickt. »Wer hält, bitte, meinen Schirm?« fragte er. »Ich komme sonst nicht dran.«
Der Polizist mit der MPi erbot sich, den Schirm zu halten. Hämmerling atmete auf. So schnell konnte der die Waffe jetzt nicht mehr klarmachen. Schrecksekunde, Schirm wegwerfen, Griff zur MPi – vier Sekunden würde er brauchen – das waren zwei Sekunden zuviel!
Hämmerling tat, als wolle er seinen Mantel aufknöpfen, um an die Brieftasche zu gelangen. Plötzlich aber schossen seine Hände empor, griffen links und rechts an die Köpfe der Polizeibeamten und stießen sie mit großer Wucht gegeneinander. Gleichzeitig stieß er sein Knie dem Mann mit dem Megaphon in den Unterleib, während ein Fausthieb voll das Kinn des Schirmträgers traf.
Der Polizist, den der Hodentritt erwischt hatte, stand keuchend, nach vorn gebeugt und die Hände auf den Unterleib gedrückt, unfähig, etwas zu tun. Der wahnsinnige Schmerz lähmte ihn. Hämmerling trat an ihn heran, hieb ihm die Handkante in den Nacken und erlöste ihn so für eine lange Zeit von seinen Qualen.
Ruhig bückte er sich, nahm seinen Schirm vom Waldboden, betrachtete die beiden besinnungslosen Polizisten und rannte dann zu seinem Wagen. Er hatte Präzisionsarbeit geleistet.
Und doch beging er einen schweren Fehler: Er vergaß den Zettel …
Nach dieser Niederlage der Polizei, alarmiert vor allem vom profihaften Widerstand des Verdächtigen, der damit bewiesen hatte, daß er durchaus kein harmloser Spaziergänger war, schaltete sich nunmehr die Kriminalpolizei ein. Eine sofort angeordnete Ringfahndung nahm sich zwar sehr attraktiv aus, war aber nur vergeudete Zeit, denn als die beiden niedergeschlagenen Polizisten endlich mit ihrem Dienstwagen bei der Wache eingetroffen waren und Alarm auslösen konnten, saß Peter Hämmerling längst in seinem Zimmer und berichtete den Vorfall nach Brüssel.
»Mir ist ein Rätsel, wieso dort Polizei gewartet hat«, sagte er, schwer atmend und noch in seinen völlig durchnäßten Kleidern. »Ich bin in keiner Lage beobachtet worden. Aber ein Zufall war es auch nicht. Die Polizei kannte den Treff. Woher, frage ich? Das ist alles sehr rätselhaft.«
»Sie bleiben erst einmal im Hintergrund«, sagte Harrelmans in Brüssel erstaunlich ruhig. »Glauben Sie, daß man Sie erkannt hat?«
»Mich kennt doch keiner!«
»Könnte man von Ihnen, aufgrund der Beschreibung, die die beiden Polizisten von Ihnen gegeben haben dürften, ein Phantombild anfertigen?«
»Kaum. Ich hatte den Hut tief in die Stirn gezogen. Es regnete Klötze.«
»Was regnete es?« fragte Harrelmans. Wie sollte ein Russe wissen, was das bedeutet?
»Es regnete gewaltig. Uns lief das Wasser nur so herab. Da sieht man anders als normal aus.«
»Vernichten Sie Hut, Mantel, Anzug. Alles, was Sie trugen.«
»Selbstverständlich.« Hämmerling blickte nachdenklich gegen die Wand. Dort hing ein Farbbild ›Abend über Ischia‹. Ein Kitschbild für den, der nicht weiß, wie unwahrscheinlich kitschig ein Sonnenuntergang über dem Meer sein kann. Die Natur ist über jede Kunstkritik erhaben. »Um auf das Phantombild zurückzukommen: Wäre es nicht ratsam, ein paar Wochen in Urlaub zu fahren? Zum Beispiel nach Ischia?«
»Man sollte das überlegen. Ich frage an.«
»Wer nicht da ist, kann nicht erkannt werden«, sagte Hämmerling weise. »Nach ein paar Wochen hat keiner mehr das Bild im Kopf. Im Augenblick kann ich mich ja doch nicht um Franz-Josef kümmern.«
»Auf gar keinen Fall!« Harrelmans schien nachzudenken. »Also gut, fahren Sie«, sagte er dann. »Aber ich muß Sie jederzeit erreichen können.«
»Ich melde mich aus den Thermalbädern der Caesaren.«
»Und keine Weibergeschichten! Bloß das nicht in dieser Situation!«
»Ischia ohne Mädchen würde selbst ein Eunuche nicht ertragen!«
»Sie haben es zu verantworten!« sagte Harrelmans düster. »Wir haben schon Pannen genug in dieser verflixten Sache.«
Während Hämmerling mit Brüssel telefonierte, hatte die Kriminalpolizei die Spurensicherung aufgenommen. Die Abdrücke in dem durchweichten Waldboden erbrachten nichts; alles floß zusammen. Die einzigen markanten Spuren hatten das Megaphon und die MPi hinterlassen, als sie sich mit den zu Boden stürzenden Beamten in die
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