Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst
heute früh angerufen und saß nur zu Hause und weinte und wollte lieber erst gegen Nachmittag vorbeikommen, sie hat mit Anja gesprochen, und die hat versucht, sie zu trösten, so gut sie konnte.«
»Sie sollte sich vielleicht freuen. Jetzt kann sie sich den Typen vielleicht krallen, um den sie neulich hier so geweint hat.«
»Das nicht gerade, nein. Das ist offenbar der davor. Sie hat fast drei Monate schon nicht mehr ihre Tage gehabt, aber sie hat gedacht, das liegt daran, dass sie versucht abzunehmen. Anja kennt die ganze Geschichte.«
»Ach so.«
»Und der Vater des Kindes hat schon eine Neue.«
»Na, das ist ja eine Überraschung.«
»Und es kann vielleicht schon zu spät sein für eine Abtreibung, sie wollte heute zum Arzt gehen.«
»Herrgott, was für ein Mist. Die arme Tonje.«
Sie sah den flachen braunen Bauch im Spalt zwischen Hüfthose und kurzem Top vor sich. Tonje würde einen Schock erleiden, wenn sie den ersten Schwangerschaftsstreifen entdeckte.
»Das ist wirklich ein Tag für Rotwein«, entschied sie. »Oder weißen. Wir haben wirklich eine Menge zu bereden.«
»Damit du wieder über Dildos reden kannst, oder was?«
»Vibratoren, Sigrid. Dildo ist etwas anderes, das ist nicht mehr als eine Penisimitation.«
»Hab jetzt keinen Nerv für dein Sexgerede, davon wird mir einfach schlecht, das hört sich so verdammt einsam an. Ich brauche jetzt mehr als nur einen Vibrator. Ich brauche einen ganzen Mann. Meinen Mann.«
»Du hast schließlich mit dem Thema angefangen. Aber ich kann gut über ganze Männer reden. Über den Fünfundzwanzigjährigen, den ich in Berlin kennengelernt habe. Spanier.«
»Der war vermutlich HIV-infiziert.«
»Vielleicht ist das einfach eine Art Weckruf für euch beide. Und es rückt sich wieder zurecht.«
»Das habe ich auch gesagt. Dass wir umziehen könnten, verreisen, alles anders machen, unser Leben ändern, zusammen etwas Neues lernen, zusammen Dinge unternehmen. Und er hat geantwortet, er habe damit gerechnet, dass ich so etwas vorschlagen würde, das habe er sich selbst auch schon überlegt, er habe aber nicht das geringste Interesse daran, es noch einmal zu versuchen. Er liebt mich nicht mehr, da ist er sich hundertprozentig sicher. Das war das Schlimmste. Als er das gesagt hat.«
59
Gegen vier Uhr kam Tonje weinend zur Tür herein. Sigrid war nicht mehr da, kein Wein war gekauft worden, und sie selbst wollte gerade gehen.
»Glaub ja nicht, dass du in dem Zustand arbeiten kannst, Herzchen.«
»Ich muss morgen zum Ultraschall. Es ist nicht sicher, ob ich noch abtreiben lassen kann. Wenn nicht, bring ich mich um. Der Arzt hat den Finger in mich reingeschoben und gesagt, dass ich schon seit ein paar Monaten schwanger bin.«
»Du musst mit jemandem reden. Deiner Mutter. Oder einer Freundin.«
»Spinnst du? Ich trau mich nicht, Mama das zu sagen. Alleinstehende Mutter. Sie bringt mich doch um. Das hat sie immer gesagt, wenn ich mit neuen Typen nach Hause gekommen bin. Obwohl ich die Pille genommen habe und überhaupt. Ich hatte an einem Wochenende eine Magen-Darmentzündung, und vermutlich hab ich da die Pille ausgekotzt, und am Montag haben wir dann miteinander geschlafen, da ist es dann wohl passiert. Ich trau mich ja nicht mal, ihm das zu sagen.«
»Das musst du aber, wenn du nicht abtreiben kannst. Dann wird er schließlich Vater.«
»Oh Gott, wie furchtbar, es klingt so schrecklich, wenn du das so sagst. Dieser blöde Kerl … und dieses lahme Babe, das er sich angelacht hat, die ist doch total wie … wie Paris Hilton!«
»Was hattest du hier in der Redaktion eigentlich vor? In deinem Zustand?«
»Ich will nur dieses Quiz zusammenschustern, das muss heute fertig werden. Aber mir fehlen zwei Fragen, also bitte, hilf mir, Ingunn. Bitte, bitte, bitte.«
Tonje sah sie aus feuchten Augen an, fast schwarz vor Verzweiflung. Ohne nachzudenken, ging sie auf Tonje zu und umarmte sie.
»Natürlich helfe ich dir«, sagte sie. »Das schaffen wir. Du schaffst das. Du brauchst Andreas nicht mal zu erzählen, dass ich dir geholfen habe.«
Quizfragen schüttelte sie einfach so aus dem Ärmel, sie liebte Quiz, und sie konnte sich genau erinnern, welche Fragen schon in der Zeitung gestanden hatten. Und auch in den meisten Konkurrenzblättern.
»Mal sehen. Dann hol was zu schreiben.«
Tonje setzte sich schniefend auf ihren Schreibtischstuhl und zog einen Schreibblock zu sich heran. Ihr Nagellack blätterte ab, das sah ihr wirklich nicht ähnlich; wenn es zu spät
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