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Die Liebesbloedigkeit

Die Liebesbloedigkeit

Titel: Die Liebesbloedigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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ahnungslos abnimmt, weswegen ich sie im stillen ein bißchen verspotte. Wer zuviel verlangt, muß betrogen werden, sage ich mir dann. Mit Judith ist es mir möglich, jedenfalls weitgehend, nur über das zu reden, worüber ich Bescheid weiß, es sei denn, ich spreche über Bach, um einen Beischlaf zu verhindern. Deswegen erhält Judith in diesen Augenblicken einen Sonderpunkt für die Ermöglichung von Authentizität.
    Sandra hakt sich munter und voller Lebensdrang bei mir unter. Ich frage sie, wie sie sich fühlt, sie sagt: Ein bißchen oft hin- und hergeschmissen, wegen Überschreckung und so, aber doch oberflächlich gut gelaunt, so locker hingepinselt für den Abend. Sandra kichert, ihre Ausdrucksweise gefällt mir. Wir gehen in Richtung Stadt, durchqueren einen Park, in dem Sandra gesteht, daß sie, wenn sie allein auf einer der Bänke sitzt, nicht wagt, sich die Schuhe auszuziehen, weil sie fürchtet, dann wie eine Obdachlose auszusehen. Sie will ein paar Flamingos sehen, die in einem niedrigen Teich herumstehen und sie daran erinnern, wie sie sich als Zehnjährige hatte bewegen wollen: weich, staksend, langsam, gemessen, hoheitsvoll, wie ein verrücktes Kind. Später will sie in einem vielbesuchten Terrassen-Café einen Eiskaffee haben, und hinterher muß sie in ein Farbengeschäft.
    In ein Farbengeschäft? frage ich.
    Oh, macht Sandra, jetzt hab’ ich mich verraten.
    Ich schweige.
    Ich male nämlich neuerdings, sagt Sandra.
    Du malst?
    Sandra antwortet nicht. Wir gehen nebeneinanderher und schauen von uns weg.
    Was malst du denn?
    Ich male mich selber als junges Mädchen, ich male meine Mutter, meinen Bruder, meinen Sohn, unser Haus, in dem wir damals gewohnt haben. Du mußt dir meine Bilder unbedingt anschauen, ich habe sie dir bisher verheimlicht. Kommst du nachher mit?
    Jaja, mache ich undeutlich.
    Das Terrassen-Café ist zum Glück halb leer. Sogar von hier aus sind, in der Ferne, ein paar Flamingos zu sehen. Schlagermusik tönt aus dem Buffetraum. Wir bestellen einen Eiskaffee und einen Campari mit Eis. Sandra erzählt Anekdoten aus ihrem Büro, dann sagt sie: Wie war übrigens dein Seminar in der Schweiz? Du hast keinen Ton dazu gesagt.
    Ach, antworte ich, es war das Übliche.
    Das Übliche, wiederholt Sandra.
    Jaja, mache ich.
    Du hast die Apokalypse ziemlich über, stimmts?
    Warum sollte ich jetzt lügen, antworte ich.
    Willst du bis an dein Lebensende in irgendwelche Hotels fahren und... äh... Vorträge halten?
    Ich fürchte, sage ich, ich habe keine Wahl.
    Eine junge Bedienung bringt den Eiskaffee und den Campari. Danach nimmt sie einen Besen und fegt heruntergefallene Blütenblätter zusammen.
    Dann sagt Sandra: Ich würde dir gern ein bißchen helfen... beziehungsweise... wie soll ich... zu deiner Beruhigung beitragen.
    Helfen? Du mir?
    Nicht sofort, aber vielleicht später.
    Ich schweige, weil ich nicht weiß, worauf Sandra hinauswill. Einer der Flamingos kommt nahe an die Cafétische heran. Sandra beachtet ihn nicht.
    Meine Hilfe ist oder wäre im Prinzip einfach, sagt Sandra, erfordert aber von dir, daß du über deinen Schatten springst.
    Ich betrachte den Flamingo aus der Nähe. Sein rosa Gefieder sieht aus wie nicht abgewaschene Seife.
    Du hast mir einmal gesagt, sagt Sandra, daß du keine Rentenbeiträge einzahlst und daß du deswegen arbeiten mußt, bis du eines Tages tot umfällst. Es gibt oder gäbe einen Ausweg: Wenn du mich heiratest und ich vor dir sterbe, erbst du meine erstklassige Rente. Dann hättest du wenigstens im Alter keine Probleme.
    Ich bin überrascht und wage im Augenblick nicht, Sandra anzuschauen. Ich habe noch nie einen Flamingo aus dieser Nähe gesehen. Sein Schnabel ist viel zu groß für seinen kleinen Kopf. Sandra rechnet offenbar nicht damit, daß ich etwas sage. Sie fährt fort: Denke nicht, daß ich durchs Hintertürchen geheiratet werden will oder so etwas. Ich will dir nur für später helfen. Ich rechne natürlich damit, daß du auch wieder bessere Laune haben wirst, wenn erst klar ist, daß du dich nicht bis zum letzten Tag abrackern mußt. Ich verlange natürlich nicht, daß wir zusammenziehen. Du kannst in deiner Wohnung bleiben und ich in meiner. Das ist alles, was ich dir sagen wollte.
    Ich trinke mein Glas leer und schaue dem Flamingo nach, der langsam zum Teich zurückstakst.
    Du mußt dich nicht sofort entscheiden, sagt Sandra und kichert.
    Ich will auch kichern, aber es klappt nicht.
    Ich bin irgendwie verblüfft, sage ich, beziehungsweise

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