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Die Liebesbloedigkeit

Die Liebesbloedigkeit

Titel: Die Liebesbloedigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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ich habe einer Frau einen Antrag gemacht, es ist umgekehrt, eine Frau hat mir die Ehre erwiesen. Oder wie soll man es sagen? Ich bin ein Mann, der geheiratet werden soll?! Nein, das wäre zu plump beziehungsweise mißverständlich beziehungsweise lächerlich. Im Augenblick schlendere ich durch die Elektroabteilung eines Kaufhauses. Neuerdings scheppert mein Fön und heult dabei ein wenig kränklich auf. Es macht mir nicht das geringste Vergnügen, an Hunderten von Geräten entlangzuschauen und mich nicht entscheiden zu können. Gibt es Föns überhaupt noch? Mein Haushalt ist weitgehend gerätefrei. Ich besitze nur ein Fax und einen kleinen Computer; es gibt keine High-Tech-Anlage, keine elektrische Zahnbürste, keine Waschmaschine, keine Kaffeemaschine, keinen Anrufbeantworter, nicht einmal einen elektrischen Rasierapparat. Im Augenblick starre ich auf kleine Handstaubsauger und denke an das mißratene Selbstporträt von Sandra. Ihr großmütiges Geschenk, die Rente, ist vielleicht zu mächtig für mich. Ich spüre das Gewicht von Sandras Besorgtheit auf mir. Die Bedeutung des Gewichts beeindruckt mich, aber sie macht mich unfrei. Ich kann nicht mehr unangefochten darüber nachdenken, welcher Frau beziehungsweise welchem Leben ich mich ausliefern soll. Es ist das Gefühl der gebrochenen Souveränität, das ich nicht hinnehmen kann.
    Ich müßte jetzt die Kraft haben, mich von den Handstaubsaugern entschieden abzuwenden. Statt dessen erfaßt mich eine milde Lähmung, die mich seltsam matt und überdrüssig macht. Genau in diesen Augenblicken tritt hinter dem Regal mit den Kassettenrecordern Bettina hervor. Sie sieht mich, ihr Gesicht hellt sich auf, ihr Mund öffnet sich. Mit Bettina war ich in meiner frühen Jugend einige Jahre verheiratet. Mein Gesicht öffnet sich wahrscheinlich nicht. Obwohl unsere Geschichte schon sehr lange zurückliegt, hadere ich immer noch mit ihr. Bettinas Anblick belebt meine Hauptangst: daß ich aus einem momentanen Überschwang heraus eine falsche Lebensentscheidung treffe. Genau eine solche überstürzte Handlung wurde damals mein Unglück. Wir hatten uns in den siebziger Jahren, während der allgemeinen erotischen Anarchie, eilig kennengelernt und leider zu schnell geheiratet. Bettina saß in diesen Jahren häufig mit ihren Freundinnen in Cafés herum und rief mich von dort aus an. Ich solle kommen, sagte sie. In meiner damals noch vorhandenen Totalgutmütigkeit machte ich mich auf den Weg und saß zwanzig Minuten später an Bettinas Tisch. Und ließ mich von ihren Freundinnen anschauen und abfragen wie ein Esel. Sie erörterten in meiner Anwesenheit, ob Bettina zu gut für mich sei, ob ich mich in Kürze wieder von ihr zurückziehen werde, ob Bettina zu hübsch für mich sei oder ob ich nicht doch zu unerfahren in der Liebe sei und immer so weiter. Die Freundinnen lachten sogar ein bißchen über mich, weil ich mich gegen die Begutachterei nicht verwahrte. Aber jetzt steht Bettina lachend und lebensfroh vor mir und gibt mir die Hand.
    Dir scheint es gutzugehen, sage ich ein bißchen lauernd.
    Absolut, sagt Bettina.
    Hast du einen neuen Job? frage ich.
    Leider nicht, sagt Bettina, ich arbeite immer noch im Institut für Schockforschung, zur Zeit interviewe ich Überlebende von Tunnelbränden, Hochhauseinstürzen und Fährunglücken.
    Ach Gott, mache ich, spaßig ist das nicht.
    Nein.
    Und warum bist du dann so munter?
    Ich sags dir, sagt Bettina und lacht, ich heirate wieder.
    Ohh!
    Das hättest du mir nicht zugetraut, was?
    Bist du immer noch liiert mit dem Druckluft-Experten?
    Genau!
    Glückwunsch! Seit wann kennt ihr euch?
    Im Herbst sind es drei Jahre.
    Das reicht als Grundlage, sage ich.
    Bettina lacht.
    Trotzdem muß ich was tun, um mein Konto auszugleichen, sagt sie. Was ich bei der Schockforschung verdiene, reicht gerade für die Miete und das Telefon.
    Saniert dich der Druckluft-Mann nicht?
    Schon, sagt Bettina, aber er sagt, er könne nicht mit einer Frau zusammenleben, die vollkommen von ihm abhängig ist.
    Haha, mache ich, das kommt mir bekannt vor.
    Jajaja, sagt Bettina.
    Und? Hast du eine Idee?
    Ich werde eine Zeitungs-Tauschzentrale gründen, sagt Bettina.
    Was?
    Du hast doch bestimmt schon die Leute beobachtet, die in Papiercontainern nach einer Zeitung suchen?
    Ja.
    Ein würdeloser Anblick! Ich werde ein kleines Büro eröffnen, wo Leute ihre ausgelesenen Zeitungen und Zeitschriften abgeben können. Die leihe ich dann gegen eine Gebühr an Rentner und

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