Die Liebesbloedigkeit
Schallplattenspieler und die Schallplatten verschwanden und durch CD-Player und CDs ersetzt wurden. Es war, als würde mir zur Unzeit etwas Liebgewordenes weggenommen werden. Noch dazu fühlte ich in der Auswechslung der Waren die Aufforderung, mit den weggeschafften Schallplatten am besten gleich selbst zu verschwinden. Ich verschwand damals nicht, ich widersetzte mich und wurde dabei vermutlich ein bißchen seltsam. Kaum habe ich die Wohnung betreten (ohne Fischbrötchen, ohne Trüffel), klingelt das Telefon. Am Apparat ist Sandra.
Ist etwas passiert? frage ich, weil es ungewöhnlich ist, daß Sandra so früh am Tag anruft.
Ja... ach... gewissermaßen, sagt Sandra. Meine Schwester hat mich angerufen, morgen früh wird sie geschieden.
Oh, mache ich.
Ihr Mann will das Sorgerecht für das Kind, und sie hat große Angst, daß er es auch kriegt. Sie heult schon den ganzen Tag.
Ach, sage ich.
Sie hat mich gefragt, ob ich nicht ein paar Tage zu ihr kommen kann.
Und das wirst du auch tun, sage ich.
Ja. Ich werde am Spätnachmittag fahren, damit ich morgen früh bei der Verhandlung dabeisein kann.
Klar, sage ich.
Ich habe mir eine Woche Urlaub genommen, sagt Sandra.
Soll ich dich zum Bahnhof bringen?
Das ist nicht nötig, aber es wäre schön, wenn du gleich vorbeikommen könntest, dann hätten wir noch eine gute Stunde für uns. Außerdem will ich dir die Schlüssel geben, wegen Blumengießen und so. Kannst du kommen?
Natürlich, sage ich.
Gleich?
In fünfzehn Minuten bin ich da.
Ich bleibe noch eine Weile still neben dem Telefon sitzen. Es ist richtig Sommer geworden. Jetzt ärgere ich mich, daß ich keine Trüffeln gekauft habe. Ich könnte sie Sandra für die Bahnfahrt mitbringen. In den Hinterhöfen ringsum lassen viele Leute die Fenster offen. Fast immer hört man laute Musik und lautes Palaver. Andere grillen auf ihren Balkonen, man muß die Fenster schließen, wenn man nicht in Bratwurstgeruch eingehüllt werden möchte. Im Sommer wird man viel stärker vergesellschaftet als im Winter. In meiner Wohnung ist es so still, daß ich sogar das sanfte Flackern des Zündflämmchens im Gasofen der Küche hören kann. Wie leise du lebst! sage ich zu mir selber und schließe das Fenster. Nach etwa einer Minute wird mir klar, daß ich ab morgen, wenn auch Sandra weg sein wird, eine Art Konflikturlaub haben werde. Ich ziehe meine Jacke über und verlasse die stille Wohnung.
Sandra empfängt mich im Unterrock. Auf dem kleinen Tisch im Wohnzimmer stehen zwei Gläser und eine Flasche Wein, ein paar Oliven und Käsewürfel. Im stillen bin ich froh, daß Sandra alle ihre Bilder weggeräumt hat. Sandra redet über die fürchterliche Ehe ihrer Schwester und ihre Angst, daß sie das Kind verliert. Wir trinken Wein, ich höre zu und schaue zu dem geöffneten Koffer, der auf dem Sofa liegt. Sandra gibt mir die Zweitschlüssel für ihre Wohnung und sagt, daß ich jeden zweiten Tag die Blumen gießen muß, am besten abends. Ich frage mich, ob Sandra schon ein bißchen beleidigt ist, weil ich auf den Heiratsantrag noch nicht reagiert habe. Sandra ist frisch geduscht, ihr Körper riecht nach Spargel und Lauch. Sie gießt mir das Glas noch einmal voll und küßt mich. Soll ich mich heiraten lassen, frage ich mich während des Küssens. Warum bin ich eigentlich nicht ein bißchen dankbar? Ich habe keinen Krieg miterleben müssen, ich habe nie gehungert, ich habe nie Gewalt kennengelernt, ich habe einen von mir geschätzten Beruf, ich liebe zwei Frauen, von denen die eine jetzt in eindeutiger Weise um mich herumschwirrt, aber warum leide ich fast immer an inneren idiosynkratischen Hysterien, das heißt, warum brauche ich gar keine wirkliche Not, um mich fast immer in Not zu befinden? Mir fehlt eigentlich nur... ja, was eigentlich? Sandra zieht sich mit einer einzigen Bewegung den Unterrock über den Kopf und wirft den Schlüpfer in Richtung Koffer. Sie wartet liebevoll, bis ich soweit bin. Ich werde bedächtig, umständlich, langsam, ich altere. Sandra spreizt die Beine und besteigt die beiden Weinkistchen im Türrahmen. Ich brauche ein bißchen lange, Sandra kommt von den Weinkistchen wieder herunter und lutscht mir das Geschlecht. Danach steigt sie erneut auf die Weinkisten und drückt ihren Hintern ein wenig in die Höhe, so daß ich leicht in sie eindringen kann. Ich denke an Judith. Sie würde den Eifer dieses Weibchens, das sich so zielgenau um das Gelingen eines Schnellbeischlafs vor Reisebeginn kümmert, weder verstehen
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