Die Liebeslist
reichte!
Rosamund verkroch sich in ihrem Gemach. Ehe nicht draußen das Getrappel der letzten Pferdehufe auf der Zugbrücke verhallt war, wollte sie keinen Fuß vor die Tür setzen. Erst dann stieg sie mit leisem Seufzen hinauf auf die Zinnen, die Wangen sichtlich gerötet, wenn auch nicht von dem scharfen Wind. Sie hatte sich nicht getraut, Gervase noch einmal gegenüberzutreten, hatte nicht gewusst, was sie ihm hätte sagen sollen nach ihrem unmöglichen Verhalten. Was er wohl von ihr dachte? Wütend auf sich selbst, beschritt sie ausnahmsweise einmal mutlos den Weg des geringsten Widerstandes: Sie wartete, bis er fort und die Gefahr eines Zusammentreffens gebannt war.
Die Hände auf der Brüstung, stand sie schweigend da und sah der immer kleiner werdenden Kolonne hinterher, die nach und nach im grauen Regendunst verschwand. Binnen kurzer Zeit war sie trotz des Mantels, den sie trug, durchnässt bis auf die Haut, doch solche Unannehmlichkeiten merkte sie gar nicht. Auch als ihre Mutter zu ihr trat, rührte sie sich kaum, sondern wandte nur kurz den Kopf, die Lippen zu einem unglücklichen Lächeln verzogen. Was in ihr vorging, war ihr ein Rätsel. Im ganzen Leben hatte sie sich noch nicht so elend und so leer gefühlt.
Hast du Angst vor mir? So hatte er sie vor dem Kuss gefragt.
Sie hätte die Frage bejahen müssen. Ja, Angst davor, dass du mir mein Herz brichst.
Denn daran bestand kein Zweifel: Mit seinen überwältigenden Zärtlichkeiten, mit seiner unvergleichlichen Rücksicht und seinem Geschick in Liebesdingen, vor allem angesichts ihrer eigen Unerfahrenheit, hatte er ihr Herz erobert. Durchaus möglich auch, dass ihr Verhalten nicht ganz den herrschenden Konventionen ihres Standes entsprach, aber dies hatte er sich in keiner Weise zu Nutze gemacht. Wenn sie nur daran dachte, lief ihr jetzt noch ein Schauer über den Rücken, als spüre sie immer noch jene unwiderstehliche Spur auf ihrem Leib, die er mit seinen zärtlichen Küssen dort hinterlassen hatte.
Eine Bewegung seitlich von ihr brachte sie jäh in die Gegenwart zurück. Sie sah zu ihrer Mutter, und ihr fiel auf, dass diese ebenso unglücklich dreinblickte wie sie selbst. Die Wangen, so bemerkte Rosamund jetzt, waren rosa angehaucht, die Wimpern verdächtig feucht. Sofort bedauerte sie, dass sie so in Selbstmitleid zerflossen war. Offenbar war sie nicht die Einzige, die einen Verlust zu verwinden hatte.
„Warum bist du so traurig?“
„Ach, nichts.“ Petronilla stellte den Pelzkragen ihres Mantels auf und zupfte ihn hoch bis zur Nasenspitze, damit sie gar nicht erst zu lächeln brauchte. „Kommt von dem nasskalten Wetter, glaube ich. Immer ist es so feucht.“ Sie starrte stur geradeaus.
Rosamund ahnte, um was es ging. Sie legte ihrer Mutter den Arm um die Schulter und drückte sie liebevoll an sich. „Vielleicht ist es doch besser, du ziehst nach Lower Broadheath. Vorher ein kleiner Halt in Hereford?“ Sie rang sich ein Lächeln ab.
Es war vergebene Liebesmüh. „Nein, ich bleibe hier bei dir, Rose. Es ist meine Pflicht.“
„Und wie verhält es sich mit deiner Pflicht, selbst glücklich zu werden? Deiner Pflicht gegenüber deinen eigenen Wünschen? Nach all den Jahren?“
„Ein gemeinsames Glück mit Lord Hugh wird es nicht geben“, stellte Petronilla unumwunden fest. „Er will nicht mehr heiraten. Als Alleinstehender hat er es viel bequemer – er muss sich niemand gegenüber rechfertigen.“
„Hat er sich dir gegenüber etwa so geäußert?“ Rosamund war überrascht.
„Nein. Das war auch nicht nötig. Er ist durchaus zufrieden mit seiner jetzigen Situation. Er konnte es ja kaum abwarten, mit dem König nach Hereford zurückzukehren. Wer wollte es ihm auch verdenken? Er hat ja Enkelchen, die ihn beschäftigt halten.“
„Ach so … schade.“ Rosamund fühlte den Stich so scharf wie einen Schlag ins Gesicht. Sie hatte sich nicht nur als unfähig erwiesen, einen Mann zu heiraten – nein, sie hatte es auch versäumt, ihrer Mutter Enkelkinder zum Verwöhnen und Verzärteln zu schenken.
„Ach Rose! So habe ich das nicht gemeint …“ Ihre Mutter musste wohl ihre Gedanken gelesen haben. „Das wollte ich damit doch gar nicht sagen. Mir war bloß ein wenig melancholisch zumute. Bitte nimm dir meine Worte nicht zu Herzen.“
„Mag sein, dass du es nicht sagen wolltest, aber stimmen tut es trotzdem. Ja, hat es dir Lord Hugh denn ein wenig angetan? Magst du ihn? Also, auf mich machte es jedenfalls so den
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