Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
Kamin. Zu spät erkannte er, dass er dazu die Zange hätte benutzen sollen. Asche und Funken stoben auf, und der Raum wurde von einem durchdringenden Duft erfüllt. Er beugte sich zur Seite, aber es war zu spät. Sein nächster Atemzug verursachte ihm einen schrecklichen Druck auf der Brust, als der Husten ihm seine Krallen wieder in die Lunge hieb. Er kämpfte so heftig wie möglich, hielt die Luft an und betete, der Hustenreiz möge verschwinden, aber das tat er nicht. Sondern der Husten brach sich, begleitet von einem Regen aus Blut und Speichel, Bahn. Ein Krampf nach dem anderen schüttelte Ansel, und scharlachrote Tropfen bedeckten seine weiße Robe, während schwarze Flecken vor seinen Augen trieben.
Wenn er doch nur die Glocke am anderen Ende des Kamins erreichen könnte! Es gelang ihm, aufzustehen und einen Schritt zu machen, doch dann hielt er sich benommen am Kaminsims fest und fiel zu Boden. Unbarmherzige Schmerzen umkrallten seine Brust. Jeder Atemzug war nun ein Kampf. Da war es besser, still zu liegen. Er spürte den kühlen Steinboden unter seiner überhitzten Wange. Das rasende Flattern unter den Rippen würde aufhören, wenn er Geduld hatte. Dunkelheit kam heran; sie war so besänftigend nach dem langen Kampf, den er geführt hatte, um dieses verdammte Buch endlich lesen zu können. Es war Zeit zu schlafen …
Ah, gut. Alles endete irgendwann.
26
Gair nahm die Stufen hoch zu seinem Zimmer im Laufschritt. Von Ayshas Gemächern war er trotz des tosenden Windes unmittelbar zum Hof des Dormitoriums geflogen, aber es befanden sich bereits so viele Menschen in den Wandelgängen, dass er sich nicht bequem in Menschengestalt zurückverwandeln konnte, also war er dazu in den Küchengarten zurückgewichen. Von dort aus war er durch das Refektorium gelaufen, hatte auf dem Weg einen Apfel stibitzt und sich der Woge der hungrigen Schüler entgegengestemmt. Er hoffte, dass sie sein ungekämmtes Haar und das stoppelige Kinn nicht bemerkt hatten.
Er war erst aufgewacht, als die Glocke zur Prim schlug. Er fühlte sich benommen vor Schlafmangel; erst die Erkenntnis, dass er zum Unterricht bei Meister Brendan viel zu spät kommen würde, hatte ihn aus Ayshas Bett getrieben. Sie hatte sich schläfrig ausgestreckt, und ihr Körper hatte unter dem Laken erregende Umrisse gezeigt, während er sich angezogen hatte. Aysha hatte ihm angeboten, eine Entschuldigung zu schreiben, da er dringend anderswo benötigt werde. Das war sehr verführerisch gewesen, und ihr Abschiedskuss hatte beinahe seinen Entschluss zunichtegemacht.
Er hatte geglaubt, dass die ersten ungestümen Tage keinen Bestand haben konnten, aber er war im Irrtum gewesen. Nun dauerten sie schon fast einen Monat, und er war Ayshas Zauber stärker denn je erlegen. Abends rief sie ihn zu sich; ihre Stimme sang in seinem Kopf, und willig ging er zu ihr und verlor sich stundenlang und manchmal sogar die ganze Nacht in ihr. Er hatte es sich angewöhnt, seine Aufsätze an ihrem Schreibtisch zu verfassen, damit er bei ihr war, während sie ihn vom Sofa aus wie eine Katze beobachtete. Oft reichte ihr Blick aus, um ihn abzulenken, und dann wurden Papier und Feder beiseitegelegt – zugunsten einer anderen Ausdrucksmöglichkeit der eigenen Persönlichkeit.
Irgendwie war es ihm gelungen, sein Versprechen gegenüber Meister Barin einzuhalten, auch wenn er sich manchmal – an diesem Tag zum Beispiel – dafür sehr sputen musste. Der Apfel musste ihm als Frühstück reichen, wenn er noch das Hemd wechseln und zum Beginn von Brendans Stunde pünktlich sein wollte. In seinem Zimmer wusch er sich so rasch wie möglich und machte sich nicht einmal die Mühe, das Wasser zu erhitzen. Zitternd öffnete er seinen Schrank und suchte mit der einen Hand nach einem sauberen Hemd, während er sich mit der anderen abtrocknete.
Es klopfte heftig an seiner Tür. »Jemand zu Hause?« Darrins Gesicht erschien im Türrahmen. Er war inzwischen völlig genesen, aber unter seinen Augen lagen noch tiefe Schatten. Saaron hatte gesagt, dass sie mit der Zeit verblassen würden, aber bis dahin verliehen sie Darrin ein etwas unheimliches Aussehen, das völlig im Widerspruch zu seinem Charakter stand.
Er betrachtete die Hinweise auf die hastige Morgentoilette. »Ich habe dich nicht beim Frühstück gesehen.«
Gair nahm den halb aufgegessenen Apfel aus dem Mund. »Hab verschlafen«, sagte er und stopfte sich die Frucht wieder zwischen die Zähne. Dann zerrte er ein Hemd aus dem Schrank und zog es
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