Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
einsetzen, und sie beide waren so erschöpft, dass sie es nicht mehr weit schaffen würden. Er spürte die Kälte der Geisterpfeile wie eine Brustplatte aus Eis, die das Atmen schwierig machte und ihn trotz der vielen Lagen von Kleidung auskühlte. Brea hielt den Kopf gesenkt; ihre Ohren hingen schlaff herunter, und sie stolperte immer wieder. Sie war für die Schützen ein größeres Ziel gewesen; zweifellos hatte sie mehr Pfeile abbekommen als er.
Er glitt von ihrem Rücken, damit sie es leichter hatte. »Komm, Mädchen«, drängte er, »nur noch ein bisschen weiter, ja?«
Gütige Göttin, selbst das Sprechen war anstrengend. Jedes Wort musste er hervorpressen, als wöge es eine Tonne. Er warf die rauchenden Stummel seiner Fackeln in eine Schneewehe; jetzt waren sie für ihn wertlos. Sogar seine Füße waren zu schwer geworden, aber irgendwie gelang es ihm, sie immer wieder aus dem Schnee zu heben und einen weiteren Schritt zu machen und noch einen. Langsam ging er unter dem Bogen des Endirion-Tores hindurch und den Pfad an der Flanke des Hügels hinauf bis zum Ausfalltor. Brea stolperte neben ihm her, aber sie machte tapfer einen Schritt nach dem anderen.
Sie würden die Festung durch das Ausfalltor betreten können, durch das die Verteidiger einst mit Nachschub von der Straße versorgt worden waren. Wenn die inneren Mauern nicht vom Sturm zerstört und zusammengebrochen waren, würde er irgendwo Schutz finden, wo er dem Schnee entfliehen, ein Feuer entzünden und sich etwas zu essen machen könnte. Sie mussten es nur bis zum Eingang schaffen.
Brea wieherte, und ihre Vorderläufe knickten ein. Es waren zwei Versuche nötig, um sie wieder auf die Beine zu bringen, und sie stand zitternd und mit vom Schnee weißem Bauch da. Sie hatte fast keine Kraft mehr. Masen klopfte ihr auf den Hals. »Du kannst mich jetzt nicht allein lassen. Dazu sind wir schon zu lange zusammen«, sagte er und nahm die Zügel wieder in die Hand. »Komm, Brea, jetzt ist es nicht mehr weit.«
Er wischte sich den Schnee aus dem Gesicht und ging weiter den Hang hoch, aber er blieb sofort wieder stehen, als sich ein Schatten von einer der starken Stützmauern der Festung löste und mitten auf den Weg trat. Masen konnte von dem Mann nichts erkennen außer einem gespannten Kurzbogen, den er in der Hand hielt und der überdeutlich zu sehen war.
»Du solltest besser auf dein Reittier achtgeben, mein Freund.« Der Mann sprach mit dem typischen Akzent der arennorischen Ebene.
»Ich kümmere mich um seine Bedürfnisse eher als um meine eigenen, und so habe ich es schon immer gemacht.«
»So sollte es sein.« Der Clansmann nahm die Spannung aus der Bogensehne, ließ den Pfeil aber eingelegt. »Wir haben deine Fackeln auf dem Pass gesehen. Was führt dich hierher?«
»Das werde ich dir gern sagen, sobald du mich aus diesem verdammten Schneesturm herausgebracht hast.«
Der Clansmann dachte über seine Worte nach und deutete dann mit dem Kopf auf den Pfad. »Hoch zum Stallhof und dann nach links. An unserem Feuer ist noch Platz für dich.«
Es klang nicht so, als wäre er willkommen, aber es war immer noch besser als ein Pfeil in den Eingeweiden. »Allein dafür möge dich der Windherr segnen.«
Masen sah ein Aufblitzen weißer Zähne, das ein Lächeln hätte sein können. Der Mann schob die Finger zwischen die Zähne und stieß zwei kurze, durchdringende Pfeiftöne aus. Ein einzelnes, längeres Pfeifen antwortete ihm.
»Hinauf mit dir. Ich werde nachkommen.«
Masen führte sein geschwächtes Pferd die letzten Schritte hoch zu dem geschwärzten Ausfalltor und trat hindurch. Gelbes Licht fiel durch einen Türbogen in den Hof und beleuchtete einen weiteren langgliedrigen Clansmann, der auf der Schwelle stand. Auch er hielt einen Kurzbogen in der Hand, doch als sich Masen ihm näherte, trat er zur Seite und hielt die Decke hoch, die, wo die Tür fehlte, vor die Öffnung genagelt worden war.
In dem niedrigen Gewölbe dahinter war die Luft angenehm warm und roch nach Holzrauch und Pferden. Ein weiterer Clansmann erschien, nahm Breas Zügel entgegen und führte sie zur gegenüberliegenden Seite, wo bereits fünf Pferde angebunden waren. Neben einem Feuer, das in einer ehemaligen Esse entzündet worden war, lagen vier Sättel auf dem Boden. Über das gegen die Wand gelehnte Gepäck waren schwere Mäntel gelegt; sie alle zeigten Anzeichen langen und beschwerlichen Reisens. Speere und Bögen befanden sich in Reichweite.
»Erwartet ihr
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