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Die Lieferung - Roman

Die Lieferung - Roman

Titel: Die Lieferung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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hineinkriechen und sich hinlegen. Dann setzte sie sich neben ihn und starrte in das von Neonlampen erhellte Dunkel.
    Sie war müde. Es war exakt 23.00 Uhr, bemerkte sie. Aus irgendeinem Grund freute es sie immer ein bisschen, wenn sie genau zur halben oder vollen Stunde auf die Uhr blickte.
    Der Verkehr auf der Tietgensgade floss jetzt nicht mehr so dicht, und in dem alten Vesterbro-Mietshaus auf der anderen Straßenseite sah sie Licht hinter den Küchenfenstern. Im Erdgeschoss
kochte ein junger Mann Kaffee. Er stand mit einer Stempelkanne in der Hand da und rief jemand etwas zu. Dann lächelte er und griff sich ein paar Tassen. Unwillkürlich fragte sich Nina, ob das Leben der anderen Leute wirklich so leicht war, wie es von außen wirkte, wirklich so glücklich.
    Bestimmt nicht, dachte Nina trocken. Das war eine dieser Verzerrungen der Realität, auf die sie sich so perfekt verstand, wie ihr Psychologe gesagt hatte. Sie bildete sich immer ein, nur mit ihr stimme etwas nicht, während alle anderen normal waren. Im Gegenzug war sie aber die Einzige, die in der Lage war, die Welt zu retten, während die anderen Flachbildschirme und neue Küchen kauften, Kaffee kochten und glücklich waren. Diese Verzerrungen waren es, die sie schließlich auch vor Morten und Ida hatten fliehen lassen. Erst im Laufe der letzten Jahre begann sie Olau zu glauben, wenn er sagte, dass sie sich irrte und die Welt nicht so war.
    Trotzdem zweifelte sie auch jetzt wieder.
    Nina legte den Kopf zurück und spürte die Müdigkeit hinter den Augenlidern pulsieren.
    Sie bekam Lust, Morten anzurufen. Nicht um mit ihm zu reden, das würde doch zu nichts führen, sondern einfach, um seine Stimme zu hören, das Geräusch der Fernsehnachrichten, die im Hintergrund liefen. Etwas, das sie daran erinnerte, dass es irgendwo da draußen eine ganz normale Welt gab. Sie ließ ihre Hand über die Tasche gleiten, in der ihr Handy hätte sein sollen.
    Sie verriegelte die Tür von innen und schaltete das Autoradio ein. Vielleicht kam ja doch noch eine Fahndungsmeldung. Irgendetwas, das bewies, dass es den Jungen gab und jemand nach ihm suchte. Dann holte sie das Toastbrot hervor und sie aßen schweigend. Der Junge senkte schüchtern den Blick, als Nina ihm die Hand sanft auf den hellblonden Nacken legte.

    Nach dem Essen rollte er sich neben ihr zusammen. Nina legte vorsichtig die eine Hälfte der Decke über ihn, ehe sie sich selbst zurücklehnte und die Beine hochzog, so dass ihre Knie an der Rückseite des Fahrersitzes ruhten. Sie schloss die Augen und spürte, wie der Schlaf augenblicklich angeflimmert kam. Sie musste schlafen. Nur ein bisschen. Morgen würde sie eine Telefonzelle suchen und Morten anrufen. Morgen, wenn er nicht mehr abweisend und sauer war. Sicher würde er dann bessere Laune haben. Vielleicht konnte sie ihm dann sogar etwas von dem Kind erzählen.
    Sie öffnete noch einmal die Augen und betrachtete den Jungen. Er war eingeschlafen und lag mit halb offenen Augenlidern da, als wollte er auch noch im Schlaf wachsam die Umgebung beobachten. Seine weichen Lippen standen leicht offen. Wie bei Anton, wenn sein Kopf schwer auf dem Spiderman-Kissen lag.
    Ninas Augen fielen zu.

     
    Endlich war es still in der Wohnung. Anton hatte bis etwa neun Uhr Krawall gemacht, so dass Morten kaum etwas von den Nachrichten mitbekommen hatte, und Ida hatte ihr Computerspiel in einer Wahnsinnslautstärke laufen lassen und sich geweigert, die Kopfhörer aufzusetzen, wie es die Hausordnung eigentlich vorschrieb. Er brachte es nicht über sich, sie zurechtzuweisen. Irgendwann hatte sie offensichtlich keine Lust mehr, ihren Widerstand zu demonstrieren, jedenfalls hatten sich die merkwürdigen Paff-paff-patatau -Geräusche ihres Computerspiels so gedämpft, dass er sie ignorieren konnte.
    Er hatte die Fenster im Wohnzimmer und in der Küche geöffnet, aber die Luft stand vollkommen still. Der Tag klebte geradezu an ihm, und er überlegte, ob er unter die Dusche gehen sollte, andererseits genoss er es, zum ersten Mal seit dem Anruf aus dem Hort die Muße zu haben, sich mit der Tageszeitung und einer Tasse Kaffee hinzusetzen. Die Dusche musste warten, bis er schlafen ging.
    Manchmal. Manchmal würde er all das gern in eine Zeitkapsel packen, um sie in ein, zwei oder fünf Jahren wieder zu öffnen. Ihn reizte die Vorstellung, in der Zwischenzeit etwas anderes zu machen, in der Tundra nach Mineralien zu suchen, nach Grönland zu reisen oder nach Svalbard, und dann, wenn er

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