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Die Lieferung - Roman

Die Lieferung - Roman

Titel: Die Lieferung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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aber, dass das Feuer alles vernichten würde.
     
    Das Erste, was ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte, war die Frau. Es war nicht die vom Bahnhof - die mit den kurzen Haaren und dem knabenhaften Körperbau. Diese war blond wie Barbara und hatte noch größere Brüste. Mit der anderen wäre es viel leichter gewesen.
    Aber sie hatte versucht zu fliehen, als sie ihn gesehen hatte, und das hätte sie wohl kaum getan, wenn sie unschuldig gewesen wäre, oder? Seine Reflexe hatten ihn übermannt, und er hatte ihr leicht auf Arme und Beine geschlagen, als er sie geschnappt hatte, damit sie keinen weiteren Fluchtversuch unternahm. Sie war vor Angst wie gelähmt. Hatte auf Dänisch auf ihn eingeredet, bis ihr bewusst wurde, dass er sie nicht verstand. Dann hatte sie auf Englisch umgeschaltet und ihn gefragt, wer er sei und was er wolle. Dabei sah er ihr an, dass
sie genau wusste, warum er gekommen war. Sie hatte sich vor Angst in die Hose gemacht, gelbe Pisse rann ihr an den Beinen herab und hinterließ einen feuchten Fleck auf ihrem weißen Kleid.
    Warum hatte sie es nicht einfach gesagt?, fragte er sich. Was hatte sie sich dabei gedacht? Dass er gehen würde, wenn sie nur lange genug Nein sagte?
    Es gab immer einen Moment, in dem einem Menschen bewusst wurde, was geschehen würde. Manche versuchten dann zu fliehen, andere begannen zu schreien, zu betteln oder zu beten, während wieder andere einfach aufgaben. Immer und bei jedem Menschen gab es den Moment, in dem er erkannte, dass die Wirklichkeit nicht so war, wie er geglaubt hatte. Wenn er ihnen erst all die Dinge genommen hatte, die ihnen Schutz boten - schöne Kleider, ihr hübsches Zuhause, Höflichkeit, gestärkte Gardinen, Namen, Arbeit und die Illusion von Unverwundbarkeit, Sicherheit und Macht -, erkannten die Menschen schließlich, dass auch ihnen etwas zustoßen konnte, und zwar jetzt. Dann wussten sie plötzlich, dass ihre Qual nicht enden würde, bis sie preisgaben, was er von ihnen wissen wollte.
    Bei der blonden dänischen Frau hatte es lange gedauert. Länger, als er das aus Litauen gewohnt war. Vielleicht war das Gefühl von Sicherheit hier deutlicher ausgeprägt, fett wie die Fische im Tivoli-Teich. Es dauerte eine Weile, Schicht um Schicht abzulösen. Aber zu guter Letzt hatte sie nur noch herauszufinden versucht, was er von ihr hören wollte.
    Auf die Frage nach dem Geld beteuerte sie immer wieder, dass sie es zurückgelassen habe und Jan es haben müsse. Sie blieb dabei, vermutlich stimmte das also.
    Dann fragte er nach dem Jungen. »Wer hat ihn geholt? Wer hat ihn jetzt? Wo ist er?«
    Und plötzlich war da dieser Rest von Widerstand in all dem
weichen Blonden. Sie wollte es nicht sagen. Log und behauptete, es nicht zu wissen.
    Da wurde er wütend.
    Irgendwann ging er einfach. Aus Angst, die Kontrolle zu verlieren. Aus Angst, sie bereits verloren zu haben. Ein paar Minuten stand er auf der Veranda, atmete tief durch und lauschte auf die Mücken, die so nervenaufreibend sirrten, als hätten sie alle einen mikroskopisch kleinen, zu stark getunten Motor. Eine kleine grau getigerte Katze tauchte aus einem Busch auf der anderen Seite der Wiese auf. Sie blieb stehen, als sie ihn sah. Miaute fragend. Vielleicht spürte sie, dass etwas nicht stimmte, denn sie hielt Abstand und verschwand gleich darauf wieder unter dem Busch.
    Als er ins Haus zurückging, war es ihr gelungen, aufs Bett zu kriechen. Ihr Atem klang rasselnd und unnatürlich, und er war sich nicht sicher, ob sie registrierte, dass er im Raum war.
    »Ni-na«, röchelte sie. »Ni-na.«
    Er wusste nicht einmal, ob das die Antwort auf die Frage war, die er gestellt hatte, oder ob sie bloß irgendjemand rief, der ihr helfen sollte. Deshalb nahm er ihr Handy und überprüfte, ob dort die Nummer einer Nina gespeichert war. Tatsächlich. Er schrieb die Nummer und den Nachnamen auf und warf das Handy aufs Bett.
    »Ni-na«, wiederholte sie.
    Sie weiß nicht einmal, dass ich hier bin, dachte er. Erst da entdeckte er die Blutlache, die sich unter ihrem Kopf ausbreitete.
     
    Als die Flammen langsam verloschen, schob er von allen Seiten gründlich Sand über die Feuerstelle. Mit etwas Glück würde sie niemals gefunden werden. Dann holte er ein sauberes Hemd aus seiner Tasche im Auto.
    Er versuchte, alles noch einmal in Ruhe zu durchdenken.
Im Augenblick wusste er weder, wo das Geld war, noch was mit dem Jungen passiert war. Die Blonde hatte gesagt, der Däne habe sein Geld zurückbekommen,

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