Die Lieferung - Roman
Pflastersteinen, den viereckigen Straßenlaternen, selbst über dem Hauptsitz der Danske Bank, die aus diesem Blickwinkel eher wie eine mittelalterliche Burg als wie eine moderne Unternehmensresidenz aussah.
Er schloss die Wohnungstür auf und schnappte sich die Aktentasche. Es war kein weiterer Anruf auf dem Nokia eingegangen, während er weg war.
20 Minuten später hatte er das Auto geholt und war auf dem Weg nach Hause. Inzwischen war er sich ziemlich sicher,
dass ihm niemand folgte. Auf der Autobahn waren nur wenige Fahrzeuge unterwegs, und der Parkplatz, auf den er zwischen Roskilde und Holbæk fuhr, war menschenleer.
Er nahm das Nokia und wählte die Nummer. Es dauerte lange, ehe jemand abnahm.
»Yes?«
»Our agreement is terminated«, sagte Jan, so ruhig er es vermochte.
»No«, antwortete der Mann knapp.
»You heard me!«
»The money was not there«, erklärte der Litauer. »She said she gave it back to you.«
»Don’t lie to me«, erwiderte Jan. »She took it.« Schließlich hatte er die leere Aktentasche in ihrem Schlafzimmer mit eigenen Augen gesehen. Leer bis auf den Bankauszug und die infame Mitteilung auf dem kleinen Zettel: ICH KÜNDIGE. »She took it, and now she’s dead. Did you kill her?«
»No.«
Jan glaubte ihm nicht.
»Stay away from me and my familiy«, sagte er. »I don’t want anything more to do with you. It’s over.«
Kurze Pause.
»Not until you pay«, sagte der Litauer und beendete das Gespräch.
Jan stand da und versuchte, normal zu atmen. Dann schleuderte er das Handy ein paarmal auf den Asphalt, bis er sicher war, dass es nicht mehr funktionierte. Er ging in das stinkende Toilettenhäuschen, fummelte die SIM-Karte heraus und spülte sie in einer der Herrentoiletten herunter. Danach wischte er das Handy gründlich mit einem Papierhandtuch ab und warf es in den großen Abfalleimer vor der Toilette. Mit einem Stock stieß er es tief zwischen Apfelreste, Chipstüten und anderen Abfall.
Was noch?
Ihm blieb keine andere Wahl. Zuerst das kleine, durchsichtige Plastikschächtelchen. Nicht größer als zwei mal zwei Zentimeter und wenige Millimeter dick, kaum größer als die SIM-Karte. Die darin befindlichen Blutstropfen beinhalteten Codes, die tausendmal komplizierter waren als die elektronische DNA des Handys.
Dann das Foto. Er nahm es aus seinem Notizbuch und sah es sich ein letztes Mal an. Verabschiedete sich davon und von allem, was es bedeutete. Er ließ das Ronsonfeuerzeug aufschnappen und sah zu, wie sich die kleine Flamme in die Fotografie fraß, ehe er sie in den Abfalleimer fallen ließ.
Zuletzt setzte er sich in den Audi und wartete, bis seine Hände sich so weit beruhigt hatten, dass er weiterfahren konnte.
Sigitas Handy klingelte , als sie die Tür zu ihrer leeren Wohnung öffnete. Erschrocken kippte sie ihre Tasche auf dem Sofatisch aus, um ihr Telefon rasch zu finden.
»Ja?«
Aber es war weder Julija Baronienė, die ihre Meinung geändert hatte, noch eine fremde Stimme, die ihr sagte, was sie tun sollte, um Mikas zurückzubekommen.
»Der Sender LTV würde gerne eine Fahndungsmeldung ausstrahlen«, sagte Evaldas Gužas. »Es wäre gut, wenn Sie selber ins Studio kommen und sich persönlich an die Entführer wenden würden.«
Sigita stand wie erstarrt da. Vor ein paar Stunden hätte sie ohne mit der Wimper zu zucken zugestimmt. Aber jetzt … Sie dachte an Julija Baronienė und ihre Familie und an die offensichtliche Furcht, der sie dort begegnet war. Und an Zita, der ein Fingernagel fehlte.
»Ist das nicht gefährlich für Mikas?«, fragte sie.
Sie vernahm Gužas’ Schweigen und bildete sich ein, das Klicken des Kugelschreibers zu hören, während er nachdachte.
»Haben Sie etwas von seinen Entführern gehört?«
»Nein.«
»Dann müssen wir der Tatsache ins Auge sehen, dass inzwischen beinahe zweieinhalb Tage vergangen sind, ohne dass jemand versucht hat, mit Ihnen Kontakt aufzunehmen«, sagte Gužas. »Das ist doch richtig, nicht wahr?«
»Ja.«
»Das ist ungewöhnlich. Normalerweise geht das schneller. In der Regel wollen die Täter durch die Kontaktaufnahme verhindern, dass die Eltern zur Polizei gehen.«
»Julija Baronienė ist zur Polizei gegangen.«
»Ja, bereits wenige Stunden nach dem Verschwinden des Mädchens. Aber schon nach knapp einem Tag hat sie die Anzeige wieder zurückgezogen.«
»Sie meinen, weil sie bedroht wurde?«
»Ja.«
»Dann ist es also doch gefährlich?«
»Das kommt darauf an«, sagte er. »Man muss es
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