Die Lieferung - Roman
Männermanier auf den Rücken, und dann musste Jučas auch noch ertragen, dass Dimitri ihm zwei solide Küsse auf die Wangen drückte. Nach alter russischer Manier. Dimitri war ein echtes osteuropäisches Mischprodukt. In seinen Adern floss polnisches, russisches, deutsches und ein klein bisschen litauisches Blut. Er war inzwischen über 50 und ziemlich kahl, sah aber so aus, als könne er noch immer 200 Kilo von der Bank drücken, ohne dabei sonderlich ins Schwitzen zu geraten. Vor Jahren hatte er Jučas in einem vergleichbaren Keller in Vilnius beigebracht, wie man seriös trainierte. Jetzt lebte er in Kopenhagen, und von drei potenziellen Kontaktpersonen in Dänemark war er der Einzige, der nicht gleich zum Hörer griff und Klimka anrief, kaum dass Jučas aus der Tür war.
»Nett hier«, meinte Jučas.
»Ja, nicht schlecht«, antwortete Dimitri. »Wir führen den Laden wie einen Club. Wer zu uns kommt, will wirklich trainieren. Hast du Lust?«
»Ja, aber keine Zeit«, sagte Jučas mit ehrlichem Bedauern.
»Nein«, erwiderte Dimitri. »Ich kann mir schon denken, dass du beruflich hier bist. Arbeitest du noch immer für Klimka?«
»Ja und nein«, antwortete Jučas vage.
»Ah ja, aber das geht mich ja auch nichts an. Komm mit ins Büro.«
Das Büro war kaum größer als sechs Quadratmeter. Der Platz reichte gerade für einen Schreibtisch und einen abgenutzten braunen Bürostuhl mit Lederbezug. An den Wänden
hingen gerahmte Fotografien. Die meisten davon zeigten Dimitri neben irgendwelchen Prominenten, vorwiegend Schauspielern oder Sängern, aber auch dem einen oder anderen Politiker.
Der Ehrenplatz in der Mitte der Wand war einem Bild mit einem breit lächelnden Dimitri vorbehalten, der Arnold Schwarzenegger die Hand drückte.
»Home Sweet Home«, sagte Dimitri.
Jučas nickte nur.
»Hast du etwas für mich?«, fragte er dann.
»Ja.« Dimitri öffnete eine kleine Box, die unter dem Bild von Schwarzenegger an die Wand geschraubt war. »Du kannst wählen zwischen einer Glock und einer Desert Eagle.« Er legte die beiden Waffen vor Jučas auf den Tisch.
Beide waren gebraucht, aber in gutem Zustand. Bei der Glock handelte es sich um das klassische 9-mm-Modell Nr. 17. Die schwere silberne Desert Eagle hatte das Kaliber.44 und schien etwas neuer als die Glock zu sein. Jučas untersuchte sie nacheinander. Nahm die Magazine heraus und versicherte sich, dass alle Kammern leer waren. Dann bediente er den Ladegriff, zielte auf die Bilder an der Wand und drückte ab. Der Abzug der.44er war etwas steifer als der der Glock.
»Wie viel?«, fragte er schließlich. »Und sind sie sauber?« Er wollte keine Waffe, die mit einem Verbrechen in Verbindung gebracht werden konnte, das er überhaupt nicht begangen hatte.
»Mein Freund. Für wen hältst du mich? Würde ich dir eine schmutzige Waffe verkaufen? 2000 für die Glock, drei für die Monsterwaffe da drüben. Wirkt echt abschreckend, aber wenn du wirklich wen erschießen musst, nimm die Glock.«
Er kaufte die Glock. Die war auch billiger.
Nina setzte Marija um 16.47 Uhr in der Vesterbrogade ab.
Sie merkte sich den Zeitpunkt so genau, weil die Uhrzeit auf ihrer Uhr nicht exakt mit der auf der Uhr auf dem Bogen über dem Axeltorv übereinstimmte. Ihre eigene Uhr zeigte bereits 16.49 Uhr, und sie überlegte, welche der beiden Uhren wohl richtig ging.
Das Mädchen zog den Kopf ein und blieb unschlüssig auf dem Bürgersteig stehen, als wüsste sie nicht recht, wohin sie gehen sollte. In ihren feuchten Haaren klebte noch immer Sand, aber das war auch das Einzige, was noch an das Mädchen vom Strand erinnerte. Sie lächelte nicht mehr.
Nina sah sie im Rückspiegel in Richtung Stenosgade weggehen. Das Mädchen hatte die Schultern bis zu den Ohren hochgezogen, als fröre sie. Nina roch den ätzenden Geruch der Abgase und des heißen Asphalts durch das heruntergekurbelte Fenster und musste eine ganze Weile gegen den Drang ankämpfen, das Auto zu wenden und das Mädchen wieder auf den Beifahrersitz zu zerren. Aber Marija hatte nicht um Hilfe gebeten, ebenso wenig wie Nina ihr Hilfe angeboten hatte. Aber sie hatte ihren Namen und ihre Telefonnummer auf ein Stück kariertes Papier geschrieben und dann an einem Automaten in der Amagerbrogade das Geld für Marija abgehoben. Mehr konnte sie im Augenblick nicht für sie tun.
Nina war sich bewusst, dass die Polizei aller Voraussicht nach überwachte, wo sie ihre Kreditkarte benutzte, aber das war ihr egal. Es spielte keine
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