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Die Lieferung - Roman

Die Lieferung - Roman

Titel: Die Lieferung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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aus Marijas Umarmung befreite. Jetzt stand er mit den Füßen halb im nassen Ufersand versunken und rief ihr etwas zu, das Nina instinktiv verstand, bevor er es noch einmal wiederholte.
    »Mikas.«
    Der Junge hieß Mikas.
     
    Marija und Mikas kamen erst zurück zu Nina, als der Kleine vor Kälte schon ganz blaue Lippen hatte und seine Zähne wie Kastagnetten klapperten. Marijas langes, dunkles Haar hing
ihr schwer und nass über die Schultern, und ihre Augen lachten noch immer, als sie sich neben Nina auf das Handtuch fallen ließ und sich ausstreckte, um so viel wie möglich von der brennenden Nachmittagssonne einzufangen.
    Nina legte das andere Handtuch um den Jungen und trocknete ihm vorsichtig die schmalen, weißen Schultern ab, den Rücken, den Brustkorb und die Beine. Nachdem sie ihm sein T-Shirt und die Hose angezogen hatte, durfte er sich die Schippe und den Eimer aus der Tüte nehmen. Der Junge begann mit einem Eifer zu buddeln, dass Marija und Nina sich strahlend ansahen wie ein Ehepaar, das sich über den gemeinsamen Nachwuchs freut. Dann setzte Marija sich hin und sah Nina besorgt an.
    »Ich weiß jetzt, wie er heißt«, begann sie in ihrem etwas schwerfälligen Englisch. »Er heißt Mikas, und der Nachname seiner Mutter ist Ramoškienė. Der Nachname ist ihm wieder eingefallen, als ich ihn gefragt habe, wie die Erzieherinnen im Kindergarten seine Mutter nennen.«
    »Dann geht er also in einen Kindergarten?«, fragte Nina und verstand nicht recht, weshalb sie das so erstaunte. Sie wusste nichts über Litauen, hatte sich aber sowjetische Betonghettos, tuberkuloseverseuchte Krankenhäuser und eine eiskalte Mafia vorgestellt. Kindergärten passten nicht recht in dieses Bild. Und jetzt, wo Marija das sagte, erhaschte sie plötzlich einen ganz kurzen Blick auf Mikas’ Welt. Er ging also in einen Kindergarten. Und weiter?
    Marija sah zu dem Jungen und fragte ihn etwas. Er antwortete kurz und präzise, ohne den Blick auch nur eine Sekunde von Schaufel und Eimer zu nehmen.
    »Er kommt aus Vilnius. Da bin ich ziemlich sicher«, sagte Marija. »Ich hab ihn gefragt, ob er gern Trolleybus fährt, und das tut er. Nur nicht im Winter, da ist es immer so schmuddelig unter den Sitzen.«

    Marija lächelte triumphierend über ihren Einfall.
    »Er hat gesagt, dass er manchmal selber auf den Halteknopf drücken darf. Dass er aber warten muss, bis der Fahrer Žemynos gatvė gesagt hat.«
    Nina zog ihre Tasche zu sich und fischte einen Kugelschreiber und einen kleinen, schmuddeligen Notizblock heraus.
    »Könntest du mir das aufschreiben?«
    Sie reichte Marija den Block, die willig den Nachnamen und den Straßennamen auf das gewellte Papier schrieb. Mit einem Blick auf den Jungen überlegte Nina, wie sie am besten weiter vorgehen sollte. Sie hatte jetzt den Namen des Jungen und wusste, wo er herkam, aber das reichte irgendwie noch nicht. Sie wollte noch etwas ganz anderes wissen.
    »Frag nach seiner Mutter«, sagte sie. »Frag ihn, ob er bei seiner Mutter lebt und warum sie nicht bei ihm ist. Weiß er das?«
    Marija legte wieder die Stirn in Falten. Nina vermutete, dass sie überlegte, wie sie die Frage am besten verpacken sollte, und spürte einen Stich des Zorns über Marijas ungerechtes Schicksal - dass dänische, deutsche und holländische Männer sich offenbar völlig im Recht fühlten, ein junges Mädchen Monat um Monat zu ficken, bis von dem mädchenhaften Liebreiz und der naiven Unschuld nichts mehr übrig war. Wie rechtfertigten diese Männer das vor sich? Fanden sie es in Ordnung, weil die Mädchen es selbst so wollten? Weil es den Mädchen vermeintlich eine Chance auf ein besseres Leben gab? Nina spürte den kalten Hauch von Sarkasmus bei dem Gedanken an die Großzügigkeit der dänischen Männer.
    Wenn so viele Männer darauf erpicht waren, diesen armen jungen Mädchen zu einem besseren Leben zu verhelfen, sollte man ihnen vielleicht eine große Spendenaktion zum Wohl junger osteuropäischer und afrikanischer Mädchen vorschlagen.

    Marija war näher an den Jungen herangerückt und half ihm, den mit Sand gefüllten Eimer umzudrehen. Sie strich mit einem Finger über die Sandburg mit den bröckeligen Rändern, während sie etwas zu dem Jungen sagte und ihn zurückhaltend anlächelte.
    Mikas schien die neue Frage nicht zu gefallen. Er schaufelte planlos mehr Sand in den Eimer, gab es aber schnell wieder auf. Er warf die Schaufel von sich und sah sich hektisch um, als suchte er nach einem Versteck. Dann sah er

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