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Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition)

Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition)

Titel: Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Calsow
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schüttelte den Kopf und sah in das Gesicht einer alten Frau mit einem Kopftuch. Sie schälte mit langsamen Bewegungen einen Apfel und schien eine Türkin zu sein. Fragend sah er sie an. Statt zu antworten, zeigte sie nur stumm auf die hintere linke Ecke des Zeltes, wo sich hinter einem Plastikvorhang mehrere Jugendliche über etwas beugten. Jan stemmte sich hoch und sah vor sich die Hand der Türkin, in der ein kleines Obstmesser lag. Instinktiv griff er zu, warf ihr noch einen eiligen dankbaren Blick zu und stapfte auf die Jungen zu. Er roch es schon von weitem. Der ekelhafte Geruch der aufbrechenden Pockenpusteln kroch ihm entgegen. Das Zelt war notdürftig in zwei Hälften geteilt. Plastikplanen sollten den Kontakt zwischen Kranken und Gesunden vermeiden. Er schob sie beiseite. Wenige Meter noch. Jetzt sah einer der vier Jugendlichen auf. Sein Gesicht war fast zugeschwollen. Aber er schien trotzdem munter zu sein. Denn er warnte seine Kameraden blitzschnell. Jan erkannte den Stoff des Rucksacks. Er wollte keinen Streit. Aber das hier war keine Diskussion, das war Krieg. Sie würden ihn genauso abstechen wie den Alten.
    Der Erste kam mit wiegenden Schritten auf ihn zu: »Ey, Alter, was willst du?«
    »Ist das mein Rucksack, Trottel?«
    »Ja, Mann, und wenn sch…« Mit der rechten Hand hatte Jan in die Haare am Hinterkopf des Jungen gegriffen, mit der linken Hand gegen den Kehlkopf geschlagen und ihn dann zu Boden gedrückt. Es war eine fließende Bewegung, die Regina ihm im Herbst auf einer Wiese in einem Wiener Park gezeigt hatte. Nun fand sie eine Anwendung. Er würde nie töten wollen. Er war Arzt,aber er würde sein Leben und das seiner Nichte verteidigen. Er sah nicht mehr, wie der Junge auf den Boden fiel, sich fassungslos an den Hals fasste und dann zusammenbrach. Stattdessen hatte er dem Zweiten mit einem Tritt das Standbein weggetreten. Der Junge fiel auf den Kopf und verlor sofort das Bewusstsein. Die anderen zwei stoben auseinander. Er griff mit der rechten Hand nach vorn zum Rucksack, hielt den nächststehenden Typen mit dem Messer in Schach und ging langsam wieder zurück.
    Bald würden die Soldaten hier sein. Mittlerweile hatten andere Bewohner neugierig die Plastikplanen beiseitegeschoben und den Kampf verfolgt. Er hechtete mit dem Rucksack zum Ausgang. Die Menschen stoben auseinander. Keiner hielt ihn fest. Jan musste improvisieren, es war stockdunkel, eine überstürzte Flucht würde jetzt keinen Sinn ergeben. Er musste sich auf dem Gelände verstecken, die Lage sondieren und später seine Nichte aus der Krankenstation befreien. In geduckter Haltung rannte Jan zwischen den Zelten in Richtung Lagerhalle. Die Kälte biss in seinen Lungen. Der Kampf hatte ihn geschwächt, aber er spürte noch immer keine Symptome der Pocken. Er gehörte wohl zu den »happy few«. Der Gedanke klang wie Hohn in seinem Kopf. Die Krankheit hatte die Familie seines Schwagers fast ausgelöscht, seine Nichte lag, mit Pusteln übersät, nicht weit von hier und kämpfte mit dem Tod. Nur ihn verschonte das Virus.
    Die Scheinwerfer, die das Lager umgaben, waren eingeschaltet und tauchten das Gelände in fast taghelles Licht. Doch direkt hinter dem Zaun wartete das Schwarz der hereinbrechenden Nacht. Plötzlich jaulten Sirenen auf. Galt das ihm? Atemlos stellte er sich in den Lichtschatten einer mobilen Kloreihe. Menschen liefen zu ihren Zelten, Bundeswehr-Jeeps rasten über die Wege zwischen den Zelten und stoppten tatsächlich vor seiner Unterkunft. Kein Zweifel, sie suchten ihn. Und schon bei kleineren Vergehen wurden die Sträflinge in ein anderes, streng gesichertes Lager einige Kilometer von hier abgesondert. Dann konnte er seine Nichte endgültig vergessen, dachte er verzweifelt. Der Weg zwischen der Halle und den Toiletten war jetzt taghell erleuchtet. Er musste bis zur Außenwand der Hallesprinten. An der Kopfseite der Halle befanden sich Ladezonen. Dort waren zu viele Menschen. Mit aller Kraft, die ihm noch zur Verfügung stand, rannte er zur Lagerhalle. Er rutschte auf einer gefrorenen Pfütze aus, fiel nach vorn und schlug sich trotz Handschuhen die Hände und die Knie am Streusplitt auf. Sofort rappelte er sich wieder auf, fast auf allen vieren erreichte er die Wand und drückte sich erschöpft gegen sie. Er hörte das rostige Quietschen. Er schaute nach links, sah, wie eine kleine graue Eisentür sich öffnete, ein Mann im Schutzanzug heraustrat, den Helm abnahm und sich eine Zigarette anzünden wollte. Der Mann

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