Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition)

zu der geöffneten Terrassentür. Der nach altem Fett und Zigarettenrauch riechende gelbe Vorhang wehte ihm, vom Wind getrieben, durch das Gesicht. Mit einer ärgerlichen Bewegung zog er den Stoff zur Seite, so heftig, dass er am Saum aus den Nähten riss.
    »Sie sollten nicht so ungeduldig sein.«
    Köhn schreckte unmerklich zusammen. »Hermel, verdammt. Sie …«
    »Ein ›Guten Tag‹ würde reichen.«
    Vor ihm stand sein Sicherheitschef, der Mann fürs Grobe. Er war nicht groß, aber auch nicht klein. Er war eigentlich unsichtbar. Nur wer näher an ihn herantrat, sah, dass er eine künstliche Nase besaß. Niemand wusste es. Aber serbische Soldaten hatten sie ihm im Kosovo während seiner Zeit als Mitglied der KSK -Truppen abgeschnitten. Vier Jahre hatte Hermel gebraucht, um jeden von ihnen mitsamt der Familie zu finden und qualvoll zu töten.
    »Gibt es für Sie nur die Möglichkeit, sich anzuschleichen?«, fragte Köhn pikiert.
    »Ich überrasche gern.«
    »Mag sein«, knurrte Köhn, »aber Sie sind nicht der Weihnachtsmann und nach der missglückten Aktion Ihrer Leute in Seligenstadt sollten Sie ein wenig Demut zeigen …«
    Für einen Moment sah er den Ärger in Hermels Gesicht aufblitzen.
    Mit leicht gepresster Stimme antwortete Hermel: »Wir haben alles so präpariert, dass es wie ein Überfall unserer Judenterrortruppe aussah. Nach meinen Informationen sind die Ermittlungsbehörden auch noch auf dieser Spur.«
    Köhn trat ganz nah an Hermel heran. »Ich wollte so wenig Wissende wie möglich. Jetzt sind es schon der Syrer, der Israeli, Regina Bachmaier und dieser Arzt. Und so verbreiten sich die Mutmaßungen von Person zu Person. Ich werde ein Scheitern so kurz vor dem Ziel nicht zulassen. Sie werden dem mit Ihren Mitteln Einhalt gebieten. Sobald wir etwas über Almuts Aufenthaltsort wissen, sie sich zum Beispiel bei Regina gemeldet hat, schlagen Sie zu. Schnell, still und diesmal erfolgreich. Haben Sie das verstanden?«
    Hermel nickte und sah an Köhn vorbei.
    Clara Ridder trat mit zwei Männern ein. Köhn drehte sich um und wies auch ihnen einen Platz zu.
    »Ich möchte Sie kurz miteinander bekannt machen. Dr. Meschede, unser leitender Forschungsdirektor bei Atalante. Er wird uns über Atropos und den letzten Stand der Zulassung updaten. Frau Dr. Ridder dürften Sie alle kennen. Sie setzt uns in Kenntnis, inwieweit die politischen Konstellationen eine schnelle Zulassung gewährleisten. Herr Hermel ist so freundlich, uns über die Ereignisse in Deutschland und den Nachbarländern aufzuklären. Später hören wir via Videokonferenz von unserer Fachkraft vor Ort in Deutschland. Dr. Meschede, Sie haben das Wort.«
    Köhn setzte sich an das Kopfende, goss sich ein Glas Wasser ein, rieb sich die müden Augen und sah dann kurz zu Ridder hinüber, die ein Hermès-Tuch um ihre roten Male am Hals gebunden hatte. Sie hatte es offenkundig genossen, als er sie im Hotelzimmer gewürgt hatte. Bei dieser Vorstellung zuckte es zwischen seinen Lenden.
    Dr. Meschede erfüllte nicht das Bild eines Mediziners oder seriösen Wissenschaftlers. Seine Zeit in Harvard, Melbourne und an der Charité hatte sich nicht auf sein Erscheinungsbild ausgewirkt. Seine hochgewachsene Gestalt, das lange fettige Haar, das ihm auf die Schultern fiel, und die Metallbrille verliehen ihm die Aura eines Gesamtschullehrers oder Streetworkers. Nur wenige aus dem engsten Kreis der kompetentesten Immunologen kannten und fürchteten seine Fähigkeiten. Und nur Köhn wusste von dessen heimlichen Wünschen nach jungen Damen. Köhn war davon eher gelangweilt. Aber Meschedes Expertise war unersetzlich. So hörte er ihm ungern, aber dennoch sehr interessiert zu.
    »Atropos hat die letzte Phase der klinischen Humantests bestanden. Wir haben bemerkenswerte Fortschritte gemacht. Der Wechsel von Spritze zu Pille war ein dramatischer Sprung. Infizierte wie auch noch nicht Infizierte können so schnell und einfach geschützt und immunisiert werden. Die Nebenwirkungen sind zum jetzigen Zeitpunkt mehr als akzeptabel. Nur einer von 100 Probanden wurde dennoch angesteckt, vier erlitten mittelschwere Magenblutungen. Aber alles hielt sich bis jetzt im Rahmen. Wir könnten die Produktion hier in unserem Werk inArnheim sofort hochfahren und bis zum neuen Jahr circa zwei Millionen Einheiten vertriebsfertig haben.«
    Köhn war zufrieden. Er wusste offiziell nichts von den fast 400 toten Illegalen, aus dem Irak, Afghanistan und Somalia, die Meschede im Rahmen der Erprobung in