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Die Liste der vergessenen Wünsche: Roman (German Edition)

Die Liste der vergessenen Wünsche: Roman (German Edition)

Titel: Die Liste der vergessenen Wünsche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Gold
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längst wieder verflogen war. Sie starrte auf ihre Armbanduhr und konzentrierte sich auf den Sekundenzeiger, der sich in ernüchterndem Schneckentempo vorwärtsbewegte.
    »Entschuldigt, meine Lieben.« Tante Billie, Libbys angetrunkene ältere Schwester, erhob sich. Sie klopfte mit dem Messer an ihr beinahe leeres Weinglas. »Wenn ich noch eines sagen dürfte«, gluckste sie mit leichter Schlagseite. »Der große Truthahn sei gelobt! Wir sind Unwürdige!«
    Eine begeisterte Runde »Bravo!« folgte.
    Leo, der neben Clara saß, warf ihr einen Blick zu. » Junge , jetzt geht das wieder los!«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Glaubst du, wir sollten Tante Billie besser stoppen?«
    Clara zuckte mit den Schultern, dankbar darüber, dass sie nicht länger im Zentrum der Aufmerksamkeit stand.
    Zuvor hatte ihre fragile Erscheinung zu Aufregung unter den raunenden Gästen geführt. Es war ein Jahr her, seit Clara zuletzt ihr marineblaues Cocktailkleid getragen hatte, das sie, ohne zu überlegen, in ihren Koffer geworfen hatte. Als sie hineinschlüpfte, kurz bevor die Gäste erwartet wurden, hatte sie erschrocken feststellen müssen, dass das elegante Kleidungsstück, welches ihrer Figur einst sehr geschmeichelt hatte – es betonte ihre langen, muskulösen Beine, die schlanke Taille und den wohlgerundeten Busen –, ihr nun mehrere Nummern zu groß zu sein schien, als gehörte es einer Fremden. Und im Grunde tat es das auch.
    Beim Anblick ihres Spiegelbilds runzelte Clara die Stirn. Es sah so aus, als stecke sie in einem hässlichen Zelt statt in dem schönen Designerkleid, das sie ein kleines Vermögen gekostet hatte. Doch es war seinen Preis wert gewesen, schon allein für den überwältigten Ausdruck in Sebastians Gesicht, als sie es das erste Mal in die Oper anzog. »Grundgütiger«, hatte er ehrfürchtig ausgestoßen und versucht, seine Erektion zu verbergen. Von diesem Moment an nannten sie es unter sich einfach nur das »Ständer-Kleid«. Clara verbannte diese schmerzlichen Erinnerungen ganz schnell wieder und verschränkte die Arme vor der Brust, als müsse sie das klaffende Loch darin verbergen. Dann tat sie das einzig Vernünftige, das ihr in dieser Situation einfiel: Sie rief nach Libby.
    Erschrocken über den spitzen Schrei, kam Libby in einem stilvollen grauen Anzug und mit Diamantschmuck behängt angerannt. »Was gibt’s? Was ist los?«
    Als sich Clara langsam zu ihrer Mutter umdrehte, bedurfte es keiner Worte mehr, um das Dilemma zu erklären.
    »Oh, ich verstehe«, hauchte Libby und betrachtete das Bild ihrer Tochter, die in dem überschüssigen Stoff, zerbrechlich und gespenstisch weiß, so verloren wirkte wie eine empfindliche Porzellanpuppe mit einem Knacks unter dem Schlüsselbein.
    »Das ist aber das einzig Hübsche, was ich eingepackt habe.« Clara senkte ihren Blick.
    Libby eilte davon und kehrte einige Minuten später mit einem einfachen schwarzen Kleid zurück. »Das ist mir beim Waschen eingelaufen. Es ist nichts Besonderes, aber für heute Abend sollte es reichen.«
    Mit einem schwachen Lächeln ließ Clara ihr marineblaues Kleid zu Boden gleiten, als sie nach der improvisierten Alternative griff.
    Libby unterdrückte ein Japsen, als sie den knochigen, entblößten Körper ihrer Tochter sah. »Hier …«, sie schluckte und versuchte, sie nicht anzustarren, »lass mich den Reißverschluss zumachen. Vorsicht, hältst du kurz das Haar für mich hoch?«
    Clara rührte sich nicht.
    »Liebes? Könntest du kurz dein Haar hochhalten, bitte?«
    »Oh, entschuldige.« Clara machte, worum ihre Mutter sie gebeten hatte.
    » Braves Mädchen .« Es war, als rede Libby mit einem Kind statt mit einer erwachsenen Frau. Nachdem sie das Kleid zurechtgezupft hatte, während Clara schlaff dastand, lächelte sie schließlich. »Na bitte! Geht doch! Was denkst du?«
    Clara seufzte. »Ich wünschte, dieser Abend wäre schon rum«, murmelte sie. Der Gedanke, sich mit vierzig Gästen austauschen zu müssen, interessiert dreinschauen und im angemessenen Moment nicken oder lächeln zu müssen, entmutigte sie völlig. Sie wusste, dass es nicht leicht werden würde.
    Libby betrachtete sie mit wachsender Besorgnis. Nach einer Minute holte sie tief Luft: »Weißt du, an Thanksgiving vermisse ich deinen Vater auch immer stärker. Jedes Jahr aufs Neue. So ist das einfach«, gestand sie mit sanfter Stimme. »Denkst du an Sebastian?«
    Claras Gedanken wanderten zum Thanksgiving-Essen vor einem Jahr, als sie einen schmutzigen und

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