Die Liste der vergessenen Wünsche: Roman (German Edition)
Goldmedaillen-Gewinnerin im Bodenturnen aus dem Jemen«, aus Versehen mit einer doppelten Radwende gegen die antike, mundgeblasene Vase krachte, die einst Lincolns Ururgroßmutter gehört hatte. Bei dem Lärm kam seine Mutter angelaufen, und als sie die Scherben aus schimmerndem Glas auf dem Teppich verstreut liegen sah, fing sie an zu schluchzen.
Obwohl die verängstigte Clara Mrs. Foster bereits seit Jahren kannte, war es ihr in diesem Moment, als sähe sie sie zum ersten Mal. Ihre Mutter hatte Clara erst ganz selten weinen sehen – meist hatte es etwas mit ihrem verstorbenen Vater zu tun, an seinem Geburtstag oder ihrem Hochzeitstag. Aber noch nie zuvor hatte eine erwachsene Person außer ihrer eigenen Mutter vor ihr geweint. Es riss ihr beinahe das Herz heraus. Vorher war ihr gar nicht bewusst gewesen, dass auch Erwachsene echte Gefühle hatten – dass auch sie empfindsam und menschlich waren wie sie selbst. Obwohl Mrs. Foster ihr sofort vergeben und gesagt hatte: »Ob es einem gefällt oder nicht, Unfälle passieren nun einmal, und alles, was wir tun können, ist weitermachen«, konnte sie an jenem Abend nicht einschlafen. Ihr war klar, dass diese Erfahrung einen unauslöschlichen Fleck in ihrer Erinnerung hinterlassen würde. Und damit hatte sie recht behalten.
Lange Zeit betrachtete sie die zerbrochene Vase als eines der Dinge, die sie am meisten bedauerte. Mehr noch als die Haaraufheller-Schmach, bei der ihre Haare grün wurden, oder das Kichererbsen-Gate, als Leo mit ihr gewettet hatte, sie traue sich nicht eine Kichererbse zu schnupfen, was zu einer panikartigen Fahrt in die Notaufnahme führte, wo die Hülsenfrucht operativ entfernt werden musste, bevor sie das Gehirn erreichte.
»Haben Sie nichts anderes im Sortiment? Um die dreißig Zentimeter groß, zwölf Zentimeter Durchmesser und birnenförmig mit perlmutt- oder opalartigem Glanz?«, fragte Clara Greg, den klein geratenen, nach Chanel No 5 riechenden Verkäufer. Clara erkannte den Duft, weil sie ihn selbst benutzt hatte, als Sebastian noch lebte und sie sich die Mühe gemacht hatte, Parfüm aufzutragen. Es hatte ihr immer ein glamouröses Gefühl verliehen. Außerdem wusste sie, dass ihr Verlobter diesen Duft an ihr liebte. Clara erinnerte sich noch gut, wie er einmal an einem einwöchigen Podologie-Kongress in San Francisco hatte teilnehmen müssen. Sie waren beide nicht begeistert gewesen, sieben lange Tage (interne Übersetzung: eine Ewigkeit) voneinander getrennt zu sein. Einmal rief er sie während seiner Abwesenheit spätabends von seinem Hotelzimmer aus an, um ihr gute Nacht zu sagen, etwas, was er immer tat, wenn er weg war, egal wie spät es schon sein mochte. Der Klang seiner Stimme sagte Clara sofort, dass ihn etwas bedrückte. »Ich bin gerade mit dem Aufzug in den dreiundzwanzigsten Stock hochgefahren, wo sich mein Zimmer befindet, und da war eine Frau, die Chanel No 5 trug.« Sebastian seufzte. »Ich weiß auch nicht. Es klingt albern, aber die letzten paar Tage waren lang. Und ich habe dich sowieso schon von Anfang an vermisst. Aber jetzt diesen Duft in der Nase zu haben macht die Sache noch schlimmer.«
Auch wenn Clara sich nicht über die traurige Sehnsucht in seiner Stimme freute, war sie dennoch gerührt. »Ach, Schatz«, erwiderte sie mitfühlend, »das tut mir leid. Ich wünschte, ich wäre die Frau in dem Aufzug gewesen.«
»Ich auch«, sagte Sebastian und fügte noch hinzu: »Ich wünschte, du wärst jetzt hier mit mir in diesem Zimmer.«
»Tja, damit wären wir dann schon zwei mit dem gleichen Wunsch«, gestand auch Clara. Und erst eineinhalb Stunden später legten die beiden auf.
»Könnten Sie die Vase, die Sie suchen, vielleicht ein bisschen genauer beschreiben?«, sagte Greg spitz und zupfte an seinen modisch zur Seite gegelten Ponyfransen herum, um sicherzugehen, dass sie auch richtig saßen. »Es tut mir leid, aber Ihre Beschreibung passt ungefähr auf unser gesamtes Sortiment an Vasen. Leider ist das, was Sie hier in den Regalen sehen, alles, was wir Ihnen anbieten können.«
»Ich hatte schon befürchtet, dass Sie das sagen würden.« Clara seufzte und versuchte, die Weihnachtslieder auszublenden, die fröhlich im Hintergrund vor sich hin dudelten. Süßer die verdammten Glocken nie klingen … Sie hatte dieses Lied bereits zweimal an diesem Tag gehört. Es wurde immer schwerer, die Adventszeit zu ignorieren.
Greg beugte sich vor und senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Das ist jetzt ziemlich unorthodox,
Weitere Kostenlose Bücher