Die Lüge
ihrem Liebhaber zurück ist.»
Am späten Freitagabend kam Jasmin Toppler aus dem Urlaub zurück, holte ihren Schlüssel ab und bedankte sich für die Blumenpflege. Sie gestand die Benutzung des Telefons. Jasmin winkte ab, betrachtete sie mit einem forschenden Blick und erkundigte sich, ob sie krank sei.
«Nur müde», sagte sie.
Jasmin lud sie auf einen Kaffee ein. Dazu bekam sie ein Schlückchen echten Jamaikarum, hörte sich an, wie schön der Urlaub gewesen sei. Und sie hörte auch, dass es nebenan an ihre Tür klopfte, hörte Nadia drängen: «Mach auf, Susanne.»
Jasmin hörte es ebenso und stellte fest: «Sie kriegen Besuch.»
Als sie sich nicht vom Fleck rührte, erkundigte sich Jasmin: «Wollen Sie nicht rübergehen?»
Sie schüttelte nur den Kopf, damit Nadia ihre Stimme nicht hörte. Fast drei Minuten lang bettelte Nadia, dann wurde es wieder still im Treppenhaus. Seltsamerweise gab ihr dieser Vorfall neuen Auftrieb. Samstags stand sie früh auf, kaufte sich eine Zeitung mit Stellenmarkt, schaute auch mal wieder in ihren Briefkasten, als sie zurückkam. Es lag ein Kuvert darin – ohne Absender. Die vertrauten Druckbuchstaben stachen wie Sandkörner in den Augen. Dem Poststempel nach zu urteilen, musste der Brief dienstags oder mittwochs angekommen sein.
Nadia entschuldigte sich für ihren Ausbruch im Wald, schwor, dass so etwas nie wieder vorkäme, bat eindringlich, nicht mehr böse zu sein, noch eindringlicher um eine weitere Vertretung für zwei Tage in der kommenden Woche und abschließend um ein Treffen im Parkhaus. Freitag, fünfzehn Uhr. Das war gestern gewesen. Damit erklärte sich Nadias Erscheinen vor ihrer Tür.
Sie zerriss den Brief. Dann las sie die Stellenangebote und fand zwei Bürojobs, für die es sich lohnte, die letzten Seiten vom Bewerbungsblock zu füllen. Während sie damit beschäftigt war, erschien Jasmin, um sich noch einmal mit einer Schachtel Konfekt zu bedanken. Natürlich sah Jasmin, was sie schrieb, und erkundigte sich: «Würden Sie auch was anderes machen als Büro?»
«Was denn?», fragte sie.
Jasmin hob die Konfektschachtel. Darauf prangte der Aufkleber einer Confiserie. «Die suchen händeringend jemanden. Eine Verkäuferin hat ihren Mutterschaftsurlaub angetreten. Ich kenne die Filialleiterin gut, sie hat’s mir eben erzählt.»
Nur zwanzig Minuten später saß sie mit einem Ersatzhelm auf dem Kopf hinter Jasmin auf dem Motorrad. Jasmin hatte mit der Filialleiterin telefoniert, sie angekündigt und klargestellt, dass sie die Arbeit sofort aufnehmen konnte.
Von außen machte das Geschäft einen prachtvollen Eindruck. Im Verkaufsraum war es nicht anders, viel Chrom, viel Glas, viel Licht. Nur die Nebenräume und die Rückfront sahen trister aus. Die Filialleiterin hieß Schädlich und bot ihr einen Arbeitsvertrag auf Probe für die nächsten drei Monate.
«Ich hoffe, Sie verstehen, dass ich Ihnen nicht sofort eine feste Anstellung bieten kann», sagte Frau Schädlich. «Damit habe ich schon die tollsten Sachen erlebt. Gerade erst wieder, eine junge Frau – verschwieg bei der Einstellung, dass sie schwanger war. Dann war sie die halbe Zeit unpässlich und kam nicht. So etwas sieht die Geschäftsleitung nicht gerne.»
«Ich lebe seit über drei Jahren allein», sagte sie. «Und es sieht nicht so aus, als würde sich das noch einmal ändern.»
Frau Schädlich lächelte. «Nicht schön für Sie, aber in meinen Ohren klingt das wie Musik. Wir werden sehen. In drei Monaten sind wir mitten im Weihnachtsgeschäft, und gute Leute kann man auch danach noch brauchen.» Nachdem das geklärt war, verabschiedete Frau Schädlich sie mit einem festen Händedruck: «Bis Montag.»
«Bis Montag», sagte sie, ging zurück in den prachtvollen Laden, genoss noch kurz das lebhafte Treiben und den Duft der Süßigkeiten. In einer ruhigen Minute verabschiedete sie sich auch von ihren beiden Kolleginnen. Die jüngere hieß Meul, die ältere Gathmann. Dann stand sie wieder auf der Straße. Es nieselte, ein ekelhafter Wind trieb tief hängendeWolken fast über die Dächer. Für den Heimweg gönnte sie sich eine Busfahrt.
Als sie zurück in ihre Wohnung kam, fand sie einen unter der Tür durchgeschobenen, handgeschriebenen Zettel. Nadia wiederholte ihre Entschuldigungen, bat erneut um ein Treffen: Montag, siebzehn Uhr im Parkhaus, und bot ihr zweitausend für zwei Tage. Sie knüllte den Zettel zusammen und warf ihn in den Mülleimer.
Montags verließ sie die Wohnung kurz nach
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