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Die Luft, die uns traegt

Die Luft, die uns traegt

Titel: Die Luft, die uns traegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
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begleiten.
    Schafer musste geglaubt haben, den Kampf gewonnen zu haben, als Swenson und seine Spießgesellen im Senat durchsetzten, dass Addie das Stipendium entzogen wurde. Er hatte viel Wirbel darum gemacht, sie nicht wegen Verleumdung verklagt zu haben. »Es geht nicht um Geld oder um die Diffamierung einer wundervollen, kleinstädtischen Wohngegend«, sagte er. »Das Schockierende ist die abscheuliche Verwendung der heiligsten Bilder des Christentums durch die sogenannte Künstlerin.«
    »Verleumdung?« Lou brüllte vor Gelächter. » Verleumdung! Wen oder was sollst du denn verleumdet haben – eine dämliche Wohnsiedlung ? Jesus Christus?«
    Daraufhin lachten sie alle und stießen an. Wieder einmal saßen sie zusammen, Addie und Tom, Cora, Lou, im Herbst 1994, dieses Mal auf den eleganten Sofas und Sesseln in Lous Wohnzimmer. Wieder einmal feierten sie. Und dieses Mal war auch Scarlet dabei, die sich eine Auszeit von ihrer Examensvorbereitung in Massachusetts nahm.
    Sie feierten, weil Nach Kollwitz plötzlich gut zehnmal so viel wert war, wie Lou dem Galeristen in New Hope zwei Jahre
zuvor dafür bezahlt hatte. Und nun wurden Pläne für eine Ausstellung in New York geschmiedet.
    An jenem Abend versuchte Tom, Addies benommenes Lächeln zu deuten. Genoss sie den Moment? In jedem Fall sah sie glücklich aus , sie leuchtete förmlich, war hübscher als seit Jahren. Und warum sollte sie nicht glücklich sein? Plötzlich erreichte ihre Arbeit – und ihr leidenschaftlicher Zorn – mehr Menschen, als sie sich je erträumt hatte. Um ihretwillen also nippte er an seinem Champagner, küsste seine Frau auf die Wange und lächelte.
    Sein Kuss weckte Addie aus einer Art Entrückung. Hinter ihrem unbewegten Lächeln hatte sie an die Zeit gedacht, ja, eigentlich fast davon geträumt, als sie mit Tom die Hügel und Wälder Burnhams durchstreifte. So fühlte sie sich jetzt – als wäre sie noch einmal einundzwanzig und ihr Leben begänne gerade erst, aber sie wüsste schon etwas mehr. Beispielsweise, dass es nicht von Dauer sein konnte. Denn natürlich würde der Krebs zurückkehren, das wusste sie mit absoluter Gewissheit. Das drängende Gefühl, das daraus entsprang, machte sie schwindlig, als könnte sie jeden Moment über einen Rand sprudeln, wie der Champagner aus den Flaschen, die Lou eine nach der anderen entkorkte.
    Sie konnte sich gerade noch beherrschen, Tom nicht bei der Hand zu nehmen und ihn auf der Stelle nach oben zu ihrem Doppelbett in Lous »Gästesuite« zu ziehen.
    Je mehr sie lächelte, kaum imstande zu unterdrücken, was auch immer das sein mochte – vielleicht einfach nur die Hormonpillen, dachte sie –, desto mehr lächelten alle zurück. Das machte Addie noch schwindliger, und sie musste sich auf die Lippe beißen, um nicht laut zu lachen. Natürlich wusste sie, dass die anderen, insbesondere Lou, dachten, sie grinste und
kicherte über alles, was in den letzten Monaten geschehen war – den Erfolg der Ausstellung in Washington, die ganze Aufmerksamkeit und Bestätigung, die sie bekommen hatte, nachdem ihr das Stipendium gestrichen worden war.
    In Wahrheit war ihr die Aufmerksamkeit egal, wenn auch das Geld natürlich angenehm war. Sie und Tom planten, auf Reisen zu gehen. Es gab bereits Einladungen – von einer Stiftung in Santa Fe, einer Künstlerkolonie in Florida und einem privaten Sammler, der sie in sein Haus in Costa Rica einlud. Und es freute Addie selbstverständlich, dass ihre Arbeit und alles, was sie seit Jahren zu sagen versuchte, endlich zu den Menschen durchdrang. Doch gleichzeitig bezweifelte sie, dass sich dadurch langfristig in den Köpfen viel bewegen würde. Sie war nach wie vor davon überzeugt, dass es mehr als nur der Kunst bedurfte, um das zu erreichen.
    Addie hatte gewusst, dass Lou von Nach Kollwitz nicht annähernd so begeistert war, wie sie behauptete. Seit ihrer Studentenzeit – seit den allerersten Tagen ihrer Schwärmerei für Willem de Kooning vielleicht – bewegte sich Lous Geschmack mehr in Richtung abstrakter Expressionismus. Kunst »mit Botschaft« hatte sie schon immer gehasst.
    Doch Addie hatte alles mitgemacht, was Tom und Lou planten. Für sie. Um ihretwillen: um endlich ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen, um sie zu befreien.
    Sie selbst wollte nur zurück an die Arbeit. Wollte mit ihrem Mann schlafen, früh aufstehen und sich einen großen Becher Kaffee mit in den Schuppen nehmen. Aber fürs Erste würde sie ihre Rastlosigkeit herunterschlucken und ihr

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