Die Luft, die uns traegt
euch vor, man hätte das Stück Land kaufen können, bevor Bert Schafer es auch nur ausbaldowert hätte«, sagte er einmal mit regelrecht wehmütiger Miene. »Dort könnte inzwischen eine ganze Eulenfamilie leben.«
Im Alter von siebzehn und noch einige Jahre danach glaubte Scarlet, was sie mehr als alles andere bräuchte, wäre ein eigener Platz in dieser sauberen, geschützten, privilegierten Landschaft. Sie dachte, sie müsste ihre eigenartige Kindheit in Pennsylvania hinter sich lassen und auch die Phase, die sie an der Küste von Jersey versteckt verbracht hatte, diese Jahre, in denen es für sie im Prinzip nichts gab als Bücher und Arbeit und Cora, und manchmal Bobby. Einen neuen Lebensraum finden.
Außerdem fasste sie den Entschluss, dass sie ihr erstes Semester am College nicht nur bewehrt mit Sonnenbräune, sondern auch mit dem Schild der verlorenen Unschuld antreten sollte. Also bat sie am Abend vor ihrer Abreise aus Cider Cove Bobby um Hilfe bei dieser besonderen Aufgabe. Sie hatten den Nachmittag und Abend am Strand verbracht. Er war süß und aufmerksam gewesen, hatte ihr Sand auf den Bauch gestreut, einem Marienkäfer auf seinem langsamen Weg über diese glatte, braune Fläche zugesehen. In jenem Sommer war Scarlet kühn genug geworden, einen Bikini zu tragen. Sie war dünn und gebräunt, und sie wollte, dass etwas passierte. Bobby stimmte ihr zu, dass sie nicht als Jungfrau aufs College gehen sollte, und erbot sich galant, die Kondome zu spendieren, als
Scarlet einräumte, dass sie keine andere Form von Schutz anwandte. An jenem Abend nahmen sie Scarlets alten Schlafsack mit in das immer noch mit Brettern vernagelte Restaurant.
Bobby hatte einiges dazugelernt, seit sie sich das letzte Mal auf dieses seltsame Territorium vorgewagt hatten. Während Scarlet vom Ausgangszustand der schlaksigen jungen Außenseiterin einen missmutigen Rückzug in Arbeit und Bücher antrat, hatte Bobby seinen neuen Status als lässiger Kiffer bereitwillig angenommen – dunkeläugig und in sich gekehrt, ironisch und hip. Und plötzlich sehr süß. Er war jetzt gefragt, und diese lockeren – und älteren – Mädchen von Cider Cove hatten ihm viel beigebracht.
Scarlet dachte oft, dass sie sich kein besseres erstes Mal hätte wünschen können. Trotz der während der vergangenen Monate herrschenden Distanz zwischen ihnen vertraute sie Bobby, und sie merkte, als er sie küsste, dass er sich – nur für diesen einen Moment, für diese wenigen Stunden in jener Nacht – ganz und gar öffnete. Sie küssten sich eine Zeitlang auf einer der Bänke sitzend, genau wie zwei Jahre zuvor. Doch dieses Mal waren ihre Zungen und Zähne etwas weniger im Weg, und Scarlet fand es wundervoll, Bobbys Mund zu erforschen, der nach Minze und einer Spur Zigarettenrauch schmeckte.
Sie hätte noch viel länger küssen können, aber irgendwann löste sich Bobby von ihr und bückte sich, um den Schlafsack auszurollen. Als er den Blick von ihr abwandte, spürte Scarlet, wie sie der Mut verließ. Sie musste sich zwingen, nicht in nervöses Kichern auszubrechen und ihm zu sagen, dass alles nur ein Scherz gewesen war.
Doch da sah er zu ihr auf und grinste, sein süßes, schiefes Grinsen – für Scarlet der beruhigendste Anblick auf der Welt. Sie grinste zurück und sagte: »Ich glaube, ich bin nervös.«
Er zuckte die Achseln. »Ich auch«, gab er zurück. »Aber
wenn wir einander nicht vertrauen können, wem dann?« Als er das sagte, sprang sie augenblicklich von der Bank auf, küsste ihn wieder, zog ihn auf den Schlafsack, zerrte ihre Kleider herunter, tastete nach seinen.
»Langsam, langsam«, lachte er. »Wir haben doch Zeit.« Also machte sie langsam, ließ sich von Bobby langsam ihre restlichen Sachen ausziehen und sah ihm zu, wie er langsam ihren nackten Körper erkundete und sie dann wieder angrinste. Wir haben Zeit , dachte sie, vielleicht endet diese Nacht ja nie . In den kommenden Jahren stellte Scarlet fest, dass nur wenige Menschen zu begreifen schienen, wie wertvoll es war, sich Zeit zu nehmen, so wie Bobby es in jener Nacht tat.
Nachdem sie ein paar Stunden eng aneinandergekuschelt im Schlafsack geschlafen hatten, wachten sie auf und sprachen über Richard. Scarlet fragte Bobby nicht, wie es gewesen war, seinen zerstörten Körper zu finden. Das musste sie nicht. Gegen Morgengrauen schließlich krochen sie bibbernd aus den Armen des anderen. Als Scarlet sich anzog und Bobby den Schlafsack zusammenrollte, weinten sie beide. Und
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