Die Luna-Chroniken, Band 1: Wie Monde so silbern (German Edition)
Schneiden dick, aber keiner von beiden rührte sich.
»Wie kann sie das wissen? So schnell?«, fragte Kai. »Sie muss Spione haben.«
Aus dem Augenwinkel sah er, wie Torin ihn anstarrte – eine Warnung, sich jetzt nicht auf die Verschwörungstheorien einzulassen. »Vielleicht hat Euch die Thaumaturgin oder ihr Leibwächter gesehen«, sagte er. »Als Ihr mitten in der Nacht durch das Schloss gerannt seid. Warum solltet Ihr sonst so rennen?«
Kai biss die Zähne aufeinander, richtete sich zu seiner vollen Größe auf und grüßte den Schirm wie einen Feind. »Ich fürchte, unsere Trauerzeit ist vorüber«, murmelte er. »Screen, nimm die Tele an.«
Der Schirm wurde hell. Alles in Kai sträubte sich beim Anblick der Königin von Luna, deren Kopf und Schultern in einen bestickten, cremefarbenen Schleier gehüllt waren wie die einer ewigen Braut. Unter dem Tuch ließen sich lange Haare und gespenstische Gesichtszüge erahnen. Lunarier erklärten das damit, dass die Schönheit ihrer Königin ein Geschenk sei, welches die Erdenbewohner nicht verdienten. Kai hatte allerdings gehört, dass der Zauber der Königin – ihre Fähigkeit, Menschen dazu zu bringen, sie als überirdisch schön wahrzunehmen, indem sie deren Gehirnströme manipulierte – nicht über Netscreens wirkte und sie es deswegen grundsätzlich nicht gestattete, auf ihnen abgebildet zu werden.
Was auch immer der Grund dafür sein mochte, wenn Kai die weiß verhüllte Gestalt zu lange ansah, fingen seine Augen an zu brennen.
»Mein lieber Prinzregent«, begann Levana zuckersüß, »ich darf nun also die Erste sein, die Euch mein Beileid für den Verlust Eures Vaters ausspricht, des guten Kaisers Rikan. Möge er in alle Ewigkeiten in Frieden ruhen.«
Kai warf Torin einen kühlen Blick zu. Spione?
Torin erwiderte ihn nicht.
»Auch wenn der Anlass tragisch ist, so freue ich mich doch darauf, mit Euch als dem neuen Staatsoberhaupt des Asiatischen Staatenbundes der Erde die Gespräche über ein Bündnis fortzusetzen. Da ich keinen Grund sehe, diese Gespräche bis zu Eurer Krönung aufzuschieben, wann auch immer diese stattfinden mag, halte ich eine Besprechung, sobald es Euch in der Trauerzeit günstig erscheint, für unabdingbar. Mein Shuttle steht bereit. Ich kann schon mit Eurem nächsten Sonnenaufgang aufbrechen und Euch sowohl mein Beileid als auch meine Glückwünsche persönlich überbringen. Ich informiere meine Thaumaturgin über meine bevorstehende Ankunft. Sie wird sicherstellen, dass alle notwendigen Maßnahmen zu meiner Unterbringung getroffen werden. Ich bitte Euch, macht Euch deswegen keine Umstände. Ich bin sicher, Ihr habt Kummer genug in dieser tragischen Zeit. Meine Anteilnahme gilt Euch und dem ganzen Staatenbund.«
Mit offenem Mund wandte sich Kai an Torin. Er stemmte die Fäuste in die Hüfte, bevor seine Hände beginnen konnten zu zittern. »Sie will herkommen? Jetzt? Es ist noch keine fünfzehn Minuten her!«
Torin räusperte sich. »Wir sollten morgen früh vor der Pressekonferenz darüber sprechen.«
Kai drehte sich um und schlug mit dem Kopf gegen die Scheibe. Hinter dem Glas war der Leichnam seines Vaters unter dem weißen Laken nur schemenhaft zu erahnen, so wie die Königin unter ihrem Schleier. Der Kaiser hatte in den letzten Tagen so stark abgenommen, dass sein Umriss eher auf ein Model als auf einen Mann schließen ließ.
Sein Vater lebte nicht mehr. Er konnte Kai nicht mehr schützen, ihm keinen Rat mehr geben. Und nie wieder sein Land regieren.
»Sie hält mich für schwach«, sagte Kai. »Sie wird versuchen, mich zu einem Heiratsbündnis zu drängen, solange hier noch Chaos herrscht.« Mit voller Wucht trat er gegen die Wand und musste einen Schrei unterdrücken, weil er vergessen hatte, dass er keine Schuhe trug. »Können wir ihr absagen? Ihr sagen, dass sie hier nicht willkommen ist?«
»Das wäre wohl kaum das Friedenszeichen, das Euer Vater aussenden würde.«
»Sie ist diejenige, die uns seit zwölf Jahren mit Krieg droht!«
Torin spitzte die Lippen. Sein sorgenvoller Blick besänftigte Kais Wut. »Gespräche müssen beidseitig sein, Eure Hoheit. Wir werden ihre Forderungen erörtern, aber sie muss sich auch die unseren anhören.«
Kai ließ die Schultern sinken. Er legte den Kopf in den Nacken und starrte auf die Schatten an der Decke. »Was meinte sie damit, dass die Thaumaturgin ihre Unterkunft vorbereitet?«
»Dass sie die Spiegel entfernt, nehme ich an.«
Kai schloss die Augen. »Ach,
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