Die Lust des Bösen
es zu spät ist«, flehte er. »Versprich es mir! Sieh mich an!«
D ie junge Frau hob langsam ihren Kopf und sah ihm fest in die Augen. Er glaubte in ihrem Blick jenen Funken der Entschlossenheit zu sehen, der ihm zeigte, dass sie verstanden hatte.
Max wollte nicht länger zusehen, wie sie sich selbst und ihr Leben so einfach wegwarf. Er hatte die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben. Vielleicht konnte er ihr diesmal helfen.
Inzwischen war auch Petra, die Leiterin des Frauenhauses, die er während der Fahrt angerufen hatte, im Präsidium eingetroffen. Mit ihrer Hilfe würde Charlene es dieses Mal hoffentlich schaffen. Ein frommer Wunsch fürwahr, aber manchmal musste man an das schier Unmögliche glauben, denn ohne diesen Glauben konnte es auch keine Wunder geben.
Nur ungern ertappte sich Max bei derartigen Sentimentalitäten, denn eigentlich war er zu abgeklärt für solche Emotionen. Doch genau die zeigten ihm, dass da noch mehr war – vielleicht etwas, wofür es sich zu leben lohnte.
Eine Stunde später war er endlich zu Hause und ließ sich auf sein altes Sofa fallen.
Ein kühles Bier war jetzt genau das Richtige; er holte sich eine Flasche aus dem Kühlschrank und stürzte das Weizen gierig herunter.
Noch immer spukte dieses Mädchen aus dem Studio in seinem Kopf herum. Wer mochte sie im wirklichen Leben sein? Er wusste, dass die Daten auf den Sedcards selten der Wahrheit entsprachen. Man erfand einfach Geschichten, von denen man annahm, dass sie die Fantasie der Kunden anregten.
Vielleicht war sie ja Studentin? Neugierig, wie sie war, würde das zu ihr passen. Was aber brachte ein Mädchen wie sie wohl dahin, sich über eine Agentur an geile, sadistische Männer zu verkaufen?
Er kannte sich aus und wusste, dass die Seelen der jungen Frauen nach einer Weile unweigerlich Kratzer abbekamen. Keiner von ihnen gelang es wirklich, sich von dem, was sie täglich erlebten, zu distanzieren. Irgendwann holte es sie ein, und wenn sie dann erkannten, dass sie nicht nur ihren Körper, sondern auch ihre Seele verkauft hatten, war es nicht selten zu spät. Oft hatte er die Überreste ihrer Körper gesehen, und meist war eine Überdosis Drogen der Grund für ein zu frühes, trauriges Ende gewesen.
Die meisten von ihnen brauchten Drogen, um diesem »Job« überhaupt nachgehen zu können. Nur damit konnten sie die Wirklichkeit ausblenden und ihre Selbstachtung wiedererlangen, die die meisten schon längst verloren hatten. Sie verkauften sich für Geld in der Hoffnung auf ein vermeintlich schöneres Leben.
Aber war es wirklich so viel besser? Wäre es nicht sinnvoller, einen Job als Kellnerin in einer Kneipe anzunehmen, sich einen netten Kerl zu angeln und dann gemeinsam etwas aufzubauen? Wenn sie erst einmal im Milieu der käuflichen Liebe gelandet waren, gab es so gut wie kein Zurück mehr.
Ja, wenn man nur einmal zu lange hier hineinblickte, war es, als ob der Teufel von einem Besitz ergriff. Er öffnete einem sein Reich, und man bediente sich bereitwillig, genoss das Neue, Unbekannte – und wenn man wieder hinauswollte, verlangte der Gehörnte seinen Tribut.
Nichts im Leben war jemals umsonst, und ein Verlassen der Hölle war nicht möglich. Man war darin ein Gefangener seiner selbst und seiner Leidenschaften.
E in heißer Sommerabend ging seinem Ende entgegen. Lange schon hatte sie sich auf diesen Tag gefreut: ein Konzert mit Phil Collins im Olympiastadion.
Ein halbes Leben lang war Lea bereits Fan seiner Songs, die mitten ins Herz trafen, und seiner einschmeichelnden, gefühlvollen Stimme, die Gänsehaut garantierte. Ein Musiker, der trotz seines Erfolges so gänzlich uneitel und natürlich zu sein schien.
Bisher hatte sich jedoch nie eine Gelegenheit ergeben, ihn live zu erleben. Und jetzt hatte sie doch tatsächlich in einem Radioquiz eine VIP-Karte für sein Konzert gewonnen. Das war der absolute Wahnsinn!
Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheiten hatte sich Lea viel Zeit genommen, sich schön zu machen. Stundenlang im Bad Zeit mit diesem Weiberkram zu verplempern, war einfach nicht ihr Ding. Diese Zeit verbrachte sie lieber mit wichtigeren Dingen: ihrer Arbeit, mit einer Tour auf ihrer Harley oder bei einem Spaziergang mit ihrem Hund Arthur.
Nie wollte sie eines dieser gestylten Püppchen sein, die nur für ihre Schönheit lebten und dafür bewundert werden wollten. Sie wollte für das, was sie im Kopf hatte, geschätzt werden.
Dazu kam noch etwas ganz Entscheidendes: Sie brauchte diesen ganzen Zirkus
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