Die Macht der Medusa
Bemalung auf dem Arm hatte Rob nur gelacht, doch ihm würde in dieser Nacht das Lachen noch vergehen. Alina wußte, daß sie zum letzten Mal über das Geländer hinweg von hier aus in die Nacht schaute. Diese Stunden waren entscheidend, wobei Rob nichts ahnte und noch immer in seinen verfluchten Macho-Träumen schwebte.
Auf ihrem linken Oberarm spürte sie für einen Moment das scharfe Brennen. Sie zuckte nicht zusammen, sondern lächelte, denn dieses Zeichen hatte sie verstanden.
Medusa ließ sie nicht aus der Kontrolle. Sie hatte sich bei ihr gemeldet. Sie wußte sehr gut Bescheid, um was es ging. Es hätte nicht einmal dieser Erinnerung bedurft. Alina legte den Kopf zurück. Sie lachte leise und flüsterte die Antwort gegen den Wind. »Keine Sorge, es wird alles so geschehen, wie du es willst.«
Ob Rob ihr Flüstern gehört hatte, wußte sie nicht. Jedenfalls meldete er sich. »He, was ist los, Süße? Willst du dich nicht wieder zu mir setzen?«
Alinas Lippen verzerrten sich. Süße, hatte er gesagt. Wie sie diesen Ausdruck haßte. Auch der Tonfall ließ die Galle bei ihr hochsteigen. Am liebsten hätte sie ihn erstochen, aber das Schicksal, das ihm bevorstand, war schlimmer.
Alina beugte sich über die Brüstung. Der Wind spielte mit dem weit geschnittenen Kleid, das trotzdem eng um ihre Taille lag. Unten sah sie die Lichter, die unbeweglichen und diejenigen, die sich bewegten. Die Scheinwerfer der Autos strahlten ihre Lichter wie eisige Sensen, die alles zerschnitten, was sich in ihrer Nähe aufhielt. Der Himmel hoch über ihr wirkte wie eine polierte Fläche, die nur ab und zu von Wolken aufgerauht wurde.
»Ich habe dich was gefragt, Süße.«
»Und ich habe es gehört.«
»Wie schön. Was ist?«
»Mir gefällt es hier.«
»Der Rosé ist gut«, sagte Rob lachend. »Es war wirklich der beste, den ich auftreiben konnte. Aber was tut man nicht alles dafür, daß es uns gutgeht.«
Typische Aussagen. So redete er immer. Überheblich, sich selbst überschätzend. Das kannte sie, und sie wußte auch, daß sie derartige Sätze haßte. Er würde sie bald nie wieder sagen oder nie wieder sagen können, das stand fest.
»Ich weiß, daß du nur das beste kaufst.«
»Klar, man muß das Leben genießen. Wer weiß, wie lange es uns noch vergönnt ist.« Er lachte, und Alina hörte, wie er den Wein genießerisch schlürfte.
Ja, du hast recht, dachte sie. Wie lange wirst du dieses Leben noch genießen können. Nicht mehr lange, mein Freund. Es wird dich erwischen, brutal erwischen, für immer und ewig.
Sie drehte sich um, als hätte sie auf die Uhr geschaut und einen bestimmten Zeitpunkt erkannt.
Ja, er saß noch immer auf seinem Platz, die Beine angehoben und die nackten Füße auf den Hocker gelegt. In der Hand hielt er das mit Wein gefüllte Glas. Er roch daran, nickte, und seine Lippen verzogen sich zu einem breiten Lächeln. »Es ist noch genügend in der Flasche, Süße, schenk dir was ein.«
»Ja, danke.« Sie riß sich so stark zusammen, daß sie ihn anlächeln konnte.
Alina setzte sich Rob schräg gegenüber. Der Flaschenhals schaute aus dem Kühler hervor. Als sie danach griff und sich ebenfalls ein Glas vollschenkte, da durchdrang sie der Wunsch, den Kerl einfach zu erschlagen. Aber sie riß sich zusammen, denn zugleich meldete sich die Schlange. Alina spürte wieder das Ziehen, das entstand, wenn sich die Haut zusammenzog. Oder sich die Schlange bewegte; das war auch möglich. Sie hatte es zwar nie richtig gesehen, aber so etwas konnte durchaus passieren, denn die Schlange war nicht einfach nur eine Zeichnung auf der Haut. Sie war mehr, viel mehr.
In der warmen Luft war das Glas sofort auf der Außenseite beschlagen. Alina hielt die Augen beinahe geschlossen, als sie den fruchtig und saftig schmeckenden Wein trank. Sie wußte, daß Rob sie beobachtete, was ihr nichts mehr ausmachte, denn ihr Entschluß stand fest.
»Gut, nicht?«
Alina nickte, als sie das Glas absetzte. »Hervorragend, Rob. So wie du.«
Der Broker lachte und schlug die Beine übereinander. »He, was sind das denn für seltene Komplimente. So etwas hast du mir schon lange nicht mehr gesagt. Aber du hast recht, ich bin gut.«
»Es ist übrigens mein letztes Glas Wein, das wir beide zusammen trinken.«
»Ach.« Mehr sagte Rob zunächst nicht. Er stellte das Glas auf den Tisch und näherte sich dabei den Kerzen. Deren Flammen machten aus seinem Gesicht eine Maske, wobei die eine Hälfte in der Dunkelheit blieb und die andere von
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