Die Macht der Steine
aber er kannte auch ihre Motive. Auf dem gesamten Planeten hatte das Chaos regiert. Flotten aus Tausenden von Schiffen wären erforderlich gewesen, um genügend Truppen und Sozialingenieure zur Wiederherstellung der Ordnung anzulanden. Kahn vermutete – weil er nämlich selbst irgendwie dieser Ansicht war –, daß die Entscheidungsträger die Situation als angemessen und gerecht beurteilt hatten. Es hatte nämlich Zeiten gegeben, da Juden, Christen und Moslems sich auf der Erde und andernorts nicht wohlgesonnen gewesen waren.
Aber das alles lag schon lange zurück. Er konnte die Tatsache nicht ignorieren, daß er zumindest teilweise für die größte Katastrophe in der Geschichte der Weltreligionen verantwortlich war. Diese Verantwortung konnte er indessen mit niemandem mehr teilen; seine Generation war schon seit vielen Jahrhunderten tot.
Er verstaute das Band wieder im Mantelfutter und trat zwei Schritte vom Stuhl zurück.
»Reicht es jetzt?«
Er schaute über die Schulter. Matthäus beobachtete ihn von der entgegengesetzten Wand des Raums, wobei er sich auf einen erhöhten Abschnitt des Bodens gesetzt hatte. »Mitnichten«, erwiderte Kahn.
»Aber es ist alles darauf enthalten. Ich habe deine Bänder gesichtet… zumindest zwei davon.«
»Du hast das Aufzeichnungsgerät von Wiederauferstehung gefunden.«
Matthäus nickte. »Und das von Throne. Sogar meine Tätigkeit findet bei ihnen kurze Erwähnung. Und deine Aktivitäten ebenfalls.«
»Was ist mit Throne geschehen?«
»Ich habe die Stadt in die Flußebene geführt und sie dann demontiert. Ich habe eine gute Verwendung für sie gefunden.«
»Welche Verwendung?«
Das Gesicht von Matthäus verhärtete sich, und die Falten schienen sich zu vertiefen. »Du könntest ebensogut ein Geist sein. Ich habe dich bekämpft und das, was du getan hast. Du hast dich jedesmal durch deine Stadtprogrammierung widersetzt, deine Bifrosts…«
»Was ist überhaupt ein Bifrost?«
»Kannst du dir das denn nicht denken? Ist aber auch egal. Es wäre am besten, du würdest verschwinden. Es ist meine Aufgabe, die von dir verursachten Schäden zu beheben.« Er streckte seine schmalen, zitternden Hände aus.
»Du weißt doch überhaupt nicht, wie das geht«, erwiderte Kahn. »Hast du denn schon mit den – mit anderen Welten kommuniziert, mit unseren Leuten im All?« Kahn wies nach oben, in Ungewißheit über den tatsächlichen Kenntnisstand von Matthäus.
»Das habe ich einmal versucht. Die Stadt hat sich monatelang gesträubt, aber ich konnte sie schließlich doch dazu überreden, einen Sender zu installieren. Sie hat ihre ganze Energie in diesen Vorgang investiert, und ich habe ein Signal zu den Sternen geschickt. Umsonst. Wir sind in unserem schwarzen, mit Samt ausgeschlagenen Sarg der Sünde eingeschlossen. Sie haben uns isoliert, und so muß es auch sein. Nun haben wir die Freiheit, unseren Weg selbst zu wählen.«
»Wen meinst du mit ›wir‹?« wollte Kahn wissen. »Dich, und wen noch?«
»Ich bin jetzt allein.«
»Für wen hältst du dich dann, daß du glaubst, Gott-der- Schlachtenlenker ohne Hilfe zu…«
»Ich bin Matthäus, Sohn von Reah! Meine Mutter war eine Muslimin, mißbraucht von Heiden, getötet von einem abtrünnigen Juden-Christen! Ich bin qualifizierter als irgend jemand sonst, diese Menschen zu erretten, denn ich verkörpere alle ihre Eigenschaften, ich bin geboren in Haß und Widersprüchlichkeit und Verzweiflung!« Er reduzierte die Lautstärke. »Meine eigene Mutter hätte mich lieber abgetrieben, als mich in diese Welt zu setzen. Diese Stadt hat mich gerettet, hat mich als den neuen Christus aufgezogen.« Er lächelte. »Der ich definitiv nicht bin. So habe ich dort weitergemacht, wo meine Mutter aufgehört hatte, ich habe Wiederauferstehung geleitet und der Stadt bei der Reorganisation geholfen. Und ich habe das zerstört, was du vor neun Jahrhunderten begonnen hattest.«
»Die Bifrosts?«
»Ja. In Throne und in Eulalia.«
»Und in Thule?«
»Thule kann keinen Schaden anrichten, die Stadt ist isoliert.«
Kahn streckte die Arme aus. »Hör mir zu. Ich bin nicht dein Feind, und ich bin ebensowenig Satan, wie du Christus bist. Wenn du mir hilfst, können wir unsere Probleme gemeinsam lösen.«
»Nach abschließender Analyse bist du vielleicht sogar mächtiger als ich«, gab Matthäus zu. »Du kannst Orte aufsuchen, die mir verschlossen sind. Du benötigst meine Hilfe nicht. Ich würde sie dir aber auch sonst nicht gewähren.«
»Dann laß
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