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Die Macht der Steine

Die Macht der Steine

Titel: Die Macht der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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sich in einem schlechten Zustand – oder zumindest in keinem besseren als er und Thinner. Wenn das die Cyborgs waren, die Neu-Kanaan unsicher gemacht hatten, mußte es ihnen übel ergangen sein.
    Der Wagen hielt neben einem Stadt-Teil an, das anscheinend aus alten Stahlrohren zusammengebaut war, mit geraden Armen und Beinen, kugelförmigen Gelenken und einer kleinen, auf einem dünnen Hals montierten Kugel. Das Teil beugte sich über ihn.
    »Woher kommst du?« erkundigte es sich.
    »Mandala.«
    »Und der Kopf?«
    »Auch.«
    »Welchen Auftrag hattet ihr?«
    »Wir wurden konstruiert, um unter die Menschen zu gehen«, erwiderte Jeshua. »Und die Schmerzen des Alters zu erleiden.«
    »Wie lange ist das her?«
    »Einhundertundvierzig Jahre – annähernd.«
    »Du bist ein registriertes Stadt-Teil – obwohl die Kennung entfernt wurde. Kein logischer Planungsablauf. Möchtest du wieder restauriert werden?«
    Bis er sich seiner nichtmenschlichen Identität bewußt geworden war, hatte er nie über den Tod nachgedacht. Nun erhielt er die Gelegenheit dazu. Die Möglichkeit eines Endes war sehr real, fast erstrebenswert.
    Dennoch war das nicht nur seine Entscheidung. Er hatte noch einen Auftrag auszuführen.
    »Deine Reparatur wird in wenigen Sekunden beginnen. Du wirst für kurze Zeit die Orientierung verlieren, und dann…«
    Ein Moment wie ein winziger Tod, Eintritt im ComNet, Schwimmen. Er kreiste um einen ruhenden Punkt, über einem glühenden, stillen und warmen Meer aus Bewußtsein… er hielt Ausschau nach Thinner, fand aber keine Spur von ihm. Wo war er? Dann tauchte wie aus dem Nichts eine Frau mit grauem Haar und einem leuchtenden Stern in der Stirn auf. Jeshua erkannte sie sofort. Sein Überschwang war enorm. Sie war es, die mit dem Qellipoth interferiert hatte, die Braut Gottes, die sich selbst geopfert hatte, indem sie sich in die Niederungen des Leidens begab, um über die gefangenen Seelen der materiellen Welt zu wachen, jene verstreuten Funken des heiligen Feuers, geweihte Öltropfen, die in die Weltlichkeit gefallen waren mit der Auflösung des Sefiroth, den mannigfaltigen Gefäßen des Einen Heiligen, gesegnet sei Er. Sie schien über ihm zu stehen.
    Sie drang in sein Bewußtsein ein und erforschte seine Gedanken. Plötzlich war er sich nicht mehr sicher, ob er die komplexe Lehre der Kaballah jemals richtig umgesetzt hatte. Ihr Urteil war streng, kritisch, und dennoch übte sie Nachsicht mit ihm… vielleicht, weil sie in seinen Gedanken und im übergeordneten Kontext ihren eigenen Platz erkannte.
    Er schlug die Augen auf. Thinner stand über ihm und hatte das Kinn in eine kräftige, gesunde Hand gestützt.
    »Besser?« fragte Thinner.
    Jeshua nickte. Die Schmerzen – verdrängt, aber immer gegenwärtig – waren jetzt wirklich verschwunden. Das Bewußtsein, daß Stadt-Teile keinen Schmerz kannten, war gleichfalls gelöscht.
    »Du hattest noch genügend funktionsfähige Komponenten; deshalb hat die Stadt sich entschieden, dich zu restaurieren«, sagte Thinner. »Mir hat sie den besten Körper besorgt, den sie auf Lager hatte. Ging viel schneller.« Er löste Jeshuas Gurte.
    »Ich habe sie gesehen«, sagte Jeshua, der noch immer nicht ganz präsent war.
    »Wen?«
    »Die Braut Gottes, die sich für die schlechte Welt opferte, auf daß wir alle erlöst werden. Ich habe das Shekkinah gesehen.«
    Thinner nickte, wobei seinem Gesichtsausdruck weder Zustimmung noch Skepsis zu entnehmen waren. Jeshua schloß die Augen, schluckte und versuchte, dieses Gefühl der Hochstimmung zu rekonstruieren.
     
    Kahn war in den ausgeräumten Kontrollraum zurückgekehrt und ließ sich den Rest des Bandes vorspielen. Die Aufzeichnungsgeräte in anderen Städten hatten auch lange nach dem Zusammenbruch der meisten Kommunikationsstränge zwischen ihnen noch Informationen ausgetauscht. Das Bild, das sich langsam und schmerzlich in seinem Kopf entwickelte, war recht umfassend; die Katastrophe war komplex und erschreckend in ihrer Vollständigkeit.
    Der Exodus war überall zügig durchgeführt worden, mit Ausnahme von Thule, und offensichtlich ohne Gnade und Rücksicht auf Einzelschicksale. Jeder -Männer, Frauen, Kinder – mußte dem Komfort und der Zivilisation entsagen und wurde in die faktische Anarchie gestoßen.
    Er verfluchte die Menschen und Organisationen der Nachbarwelten von Gott-der- Schlachtenlenker, die hätten intervenieren und die Dinge wieder unter Kontrolle bringen können, es aber nicht taten; er verfluchte sie,

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