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Die Macht der Steine

Die Macht der Steine

Titel: Die Macht der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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berührte den General an der Schulter. Durragon drehte sich langsam um, aber dem Jäger war die ruckartige Bewegung dennoch nicht entgangen. Wenn er das Zelt wieder betrat, machte er sich wohl besser bemerkbar… es sei denn…
    »Was?«
    »De Polis«, meldete Perja. »Bei ihr all vorbei.«
    »Beweg, de Polis?« fragte Durragon. Perja schüttelte den Kopf.
    »Dat wir, gucken genau, Nordseite rappel runner un’ zeig de Knochen von Unnerseite.«
    Durragon kleidete sich schnell an und ging nach draußen, um zu sehen, ob die Barrikade sich wieder ausdehnte. Wo wurden die ganzen Stadt-Teile überhaupt verstaut? Sehr bald würde die Stadt die Stacheln einfahren müssen und ihre Masse über die Ebene schieben. Dann hätten sie vielleicht eine Chance.
    Schwer atmend verließ Perja das Zelt und betastete sein Stiefelmesser. Dann machte er sich auf die Suche nach dem Kartenzeichner.
     
    Sogar das während des Marsches fragmentierte Bewußtsein der Stadt verspürte Qualen. Der Schmerz und die Schuld übertrugen sich auf Reah, als ob es ihre eigenen Empfindungen wären, als ob sie es gewesen wäre, die vor eintausend Jahren den Befehl erteilt hätte, die Menschen ins Exil zu schicken. Für einen Moment schüttelte sie diese Last ab, aber dann gab sie nach. Es war an der Zeit, ihre Stadt kennenzulernen, bis ins kleinste Detail…
    Schreie. Tag und Nacht, überall auf Gott-der- Schlachtenlenker, hatten die Verzweiflungsschreie der Städte die Luft erfüllt und in das Wehklagen der Menschen vor ihren Toren eingestimmt. Reahs Verstand erzitterte unter dem Ansturm alter Erinnerungen. Viele Städte waren wahnsinnig geworden und hatten sich in eine Traumwelt der Vergangenheit zurückgezogen, ließen Geisterprojektionen durch die Hallen flanieren und die Räume besetzen. Diese Städte waren zuerst gestorben. Ihre Teile waren entweder in den Bergen mit ihren scharfen Graten verstreut oder hatten sich selbständig gemacht.
    Andere Städte waren an Fehlfunktionen in ihren zentralen Reproduktions-Einheiten zugrunde gegangen, den Maschinen, welche für die Ersatzteilfertigung verantwortlich waren. Viele Städte waren langsam zerfallen. Andere, wie Wiederauferstehung, hatten länger durchgehalten und waren noch bei guter Gesundheit, bis Verwirrung und Schuldgefühle ihren Lebenswillen gebrochen hatten.
    ›Jetzt gibt es einen Grund zum Weiterleben‹, dachte sie. Sie versuchte, jeden Träger der fragmentierten Überreste der städtischen Intelligenz unter ihre gedankliche Kontrolle zu bringen. ›Jetzt habt ihr eure Programmierung revidiert und wißt, daß alle Menschen schwach sind, daß ihr als Manifestation ihrer Träume erschaffen wurdet und nicht nach dem falschen Bildnis eines unfehlbaren Gottes. Ihr könnt nicht über sie richten; denn auch ihr seid nur sterbliche Erde und schwach.‹
    Der Bereich, in dem sich der Religions-Koordinator befunden hatte, blieb stumm, aber für einen Moment glaubte sie einen Funken zu spüren, ein zorniges Aufblitzen fast. Verängstigt intensivierte sie ihre gedankliche Konditionierungsarbeit.
    ›Ihr seid keine Richter.‹
    Welche Funktion haben wir dann? fragte die Stimme eines jungen Mädchens; konsterniert erkannte sie, daß es sich um ihre eigene Stimme handelte, dreißig Jahre früher.
    ›Ich vermittele euch einen neuen Lebenssinn: Rettet die Kinder. Bringt sie her, die Kranken und Lahmen, jene, die nur mit eurer Hilfe und Anleitung stark werden können. Unterrichtet sie, so gut ihr könnt; im Moment müssen die Bedürftigen vorrangig versorgt werden.‹
    Die Stimme des Architekten drang dumpf und wie von weit her an ihr Ohr. Das ist ein Auftrag, der Parallelen zu unserer ursprünglichen Funktion aufweist.
    Dann ein energisches Flüstern – Aber das ist überhaupt nicht unser ursprünglicher Auftrag!
    Reah durchtrennte die Stränge der plötzlichen Insubordination, als ob sie mit einem Schwert um sich hauen würde, wobei ihr Gesicht sich vor Wut und Abscheu verzerrte. Ihr war die Rache, jetzt konnte sie das absterbende Dickicht der antimenschlichen Attitüden der Stadt stutzen; jetzt genoß sie die Genugtuung, die Philosophie, die ihren Mann und ihre Tochter umgebracht und sie selbst in Unfreiheit und Wahnsinn gehalten hatte, gegen ihre Urheber zu wenden. »Entferne dies«, verlangte sie, »nimm das weg, laß jenes zurück…«
    Und so näherte sie sich dem Mittelpunkt der Existenz der Stadt. Sie schien auf einer nebligen Lichtung zu stehen. Güldenes Sonnenlicht strömte von oben auf sie herab

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