Die Macht der verlorenen Zeit: Roman
denke schon.«
»Dann fahren Sie bitte mit Father Michael los und holen ihn!«, bat Frederic. Er übergab Michael seine Brieftasche. »Nehmen Sie, was immer nötig ist, Michael, nur bringen Sie den Arzt so schnell wie möglich her!«
Frederic begleitete beide nach unten. Ohne ein weiteres Wort verschwanden Lily und Michael in der Dunkelheit. Frederic schloss die Haustür ab und löschte die Lampen. Dann kehrte er in Johns Zimmer zurück, zog die Vorhänge zu und ließ nur eine einzige Kerze auf dem Boden brennen, bevor er sich wieder um seinen Sohn kümmerte.
Nach ungefähr einer Stunde hörte er Hufgeklapper auf der Straße, und Männerstimmen schallten ins Schlafzimmer herauf. Es wurde energisch geklopft. Frederic blies die Kerze aus. Als sich das Klopfen wiederholte, spähte er vorsichtig durch den Vorhangspalt. Zwei Uniformierte mit Gummiknüppeln standen vor der Haustür. Wahrscheinlich hatte der Fahrer seinen Mund nicht gehalten. Er betete, dass sie sich nicht gewaltsam Einlass verschafften. Als die Polizisten erneut klopften, sorgte sich Frederic, dass Michael und Lily zurückkommen könnten, solange die Polizei noch vor dem Haus stand. In diesem Moment näherte sich ein Wagen, wurde etwas langsamer, aber gleich darauf fuhr er im selben Tempo weiter und bog nach einigen Blocks ab. Die Polizisten sahen am Haus empor und gingen einige Male auf und ab. Schließlich stiegen sie schulterzuckend auf ihre Pferde und verschwanden in der Dunkelheit. Nicht lange danach kehrte der Wagen zurück, der einige Minuten zuvor am Haus vorbeigefahren war, und Lily, Michael und ein Fremder eilten ins Haus.
Als Dr. Hastings den Patienten verließ und sich zum letzten Mal die Hände in einer Schüssel wusch, eilte Lily wieder an Johns Seite. Der Arzt griff nach einem Handtuch und nach seiner Tasche und bedeutete Frederic, ihm zu folgen.
Beim Schein der Kerze, die Frederic trug, stiegen sie die Treppe hinunter, wo Michael im dunklen Foyer Wache hielt, falls die Polizisten zurückkamen.
»Zum Glück war er ohnmächtig«, sagte der Arzt. »Eine so tiefe Wunde zu nähen wäre sonst zu schmerzhaft.«
»Wird er es überstehen?«, fragte Frederic.
»Er hat sehr viel Blut verloren. Im Moment ist die Blutung gestillt. Ich denke nicht, dass weitere Organe verletzt sind. Sonst hätte er das nicht überlebt.«
Frederic seufzte dankbar und erleichtert.
Aber der Arzt war noch nicht ganz fertig. »Allerdings macht mir die linke Lunge Sorgen. Es ist möglich, dass sie bei dem Stich verletzt wurde. Die Gefahr einer Infektion ist nicht ausgeschlossen. Das habe ich im Jahr 1812 bei Verwundeten öfter erlebt. Eine solche Infektion breitet sich im Körper aus und kann tödlich sein. Wahrscheinlich bekommt Ihr Sohn in den nächsten Tagen hohes Fieber.«
Frederic war sehr besorgt. »Was können wir tun?«
»Sie können nur das Fieber bekämpfen. Halten Sie stets eine Wanne voll Wasser und Eis bereit. Wenn das Fieber steigt, tauchen Sie ihn ins eiskalte Wasser. Damit habe ich gute Erfahrungen gemacht. Mehr bleibt nicht zu tun. Nur warten. Es hängt alles davon ab, wie stark Ihr Sohn ist. Der Blutverlust macht die Sache allerdings nicht einfacher.«
Verzweifelt schloss Frederic die Augen. Er hatte gehofft, die Stadt gleich morgen früh an Bord der Heir verlassen zu können, doch das war jetzt zu gefährlich. »Was kostet es mich, damit die Sache unter uns bleibt, Doktor?«
»Nichts«, antwortete Dr. Hastings schlicht. »Ihr Sohn ist ein guter Mann, Mr Duvoisin. Er hat meinem Neffen beim Aufbau seiner Praxis geholfen, und zwar auf Ihrer Insel. Ich hoffe sehr, dass er wieder ganz gesund wird.« Er nahm seinen Mantel vom Haken und schlüpfte hinein. »Schicken Sie nach mir, wann immer Sie mich brauchen.«
»Wir müssen ihn von hier fortbringen«, erklärte Frederic, nachdem der Arzt gegangen war. »Die Polizei kommt bestimmt wieder.«
»Sie können in meinem Häuschen wohnen«, bot Lily an. »Es ist zwar klein, aber wir schaffen schon Platz.«
Frederic war einverstanden, und wieder verschwanden Lily und Michael in der Dunkelheit, um einen von Lilys Freunden um Hilfe zu bitten. Er besaß einen Mietstall und konnte einen Wagen zur Verfügung stellen, um John zu transportieren.
Als der Morgen dämmerte, hatten sie John bereits in einem der beiden Schlafzimmer untergebracht. Lilys Kinder und Rose waren ins kleine Wohnzimmer gezogen, damit Frederic und Michael das andere Schlafzimmerchen für sich hatten.
Michael konnte sogar noch zwei Stunden
Weitere Kostenlose Bücher