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Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Titel: Die Macht der verlorenen Zeit: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DeVa Gantt
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schlafen, bevor er sich auf die Suche nach Stangeneis machte. In einer Taverne unweit von Lilys Haus erfuhr er die Adresse eines Händlers, und im Lauf des Nachmittags hielt ein Lieferwagen vor dem Haus, und die Nachbarn blieben neugierig stehen, um beim Entladen des massiven Eisblocks zuzusehen. Man hatte ihn aus einem See oben im Norden, in Rockland County, herausgesägt, auf einem Floß den Hudson River hinabtransportiert, und nun ruhte er auf einem Holzgestell im Hinterhof und war mit einem Stück Sackleinen zugedeckt. Zum Glück war es kalt und schneite sogar hin und wieder, sodass nicht zu befürchten war, dass das Eis vorzeitig schmolz.
    Freitag, 7. Dezember 1838
    Früh am Morgen erhob sich Frederic von seiner Nachtwache an Johns Bett und begrüßte mit einem Nicken Michael, der sich an Johns Bett setzte. Als er den kleinen Wohnraum betrat, knotete Lily gerade die Schuhbänder ihrer Tochter zu, während ihr Zwillingsbruder schon ungeduldig wartete.
    »Ich kann das selbst, Ma!«, beschwerte sich die Kleine. »Wir kommen zu spät.«
    Lily zog die Mäntel zurecht und schob die Kinder aus der Tür. »Und dass ihr nach der Schule nicht trödelt!«
    »Wir kommen doch immer sofort nach Hause!«
    Seufzend wandte sich Lily um und war überrascht, als Frederic hinter ihr stand.
    »Sie lieben Ihre Kinder sehr, nicht wahr?«
    Sie lächelte. »Das tue ich. Sie sind mein ganzer Stolz und meine Freude. Wie geht es John?«
    »Unverändert. Er schläft, aber er hat kein Fieber.«
    »Gut.« Sie trat an den Herd. »Rose ist bereits zur Arbeit gegangen. Kann ich Ihnen etwas zu essen machen?«
    Frederic bedankte sich für das Angebot. »Im Moment bin ich nicht hungrig. Aber ich würde gern einen Augenblick mit Ihnen reden, falls Sie es einrichten können.«
    »Der Tag gehört mir. Rose wird mich entschuldigen.«
    Sie lud Frederic mit einer Handbewegung ein, sich zu ihr zu setzen. Er gehorchte und rieb sich verlegen die Brauen, weil er nicht wusste, wie er das Thema ansprechen sollte.
    »Sie sind eine beeindruckende Frau, Miss Clayton, und ich kann Ihnen gar nicht genug für Ihre Gastfreundschaft danken … und für alles, was Sie für meinen Sohn getan haben.«
    Lily lächelte. »Außerdem bin ich ein Mischling, Mr Duvoisin.« Sie lachte leise über sein erstauntes Gesicht. »Sie sind überrascht?«
    »Ja.«
    »Keine Sorge. John ist nicht der Vater meiner Kinder. Ich war Sklavin auf Wisteria Hill. Als John die Plantage kaufte, wurden wir, also meine Kinder, Rose und ich, Johns Eigentum … Aber nicht für lange. Ihr Sohn ist ein guter Mensch, Sir. Ein wirklich ehrenhafter Mann. Ohne seine Hilfe hätte ich es nie hierher in den Norden geschafft, und meine Kinder wären heute noch ungebildet und nicht besser dran als Sklaven.«
    »Was wurde aus dem Vater der Kinder?«
    Lily senkte den Kopf. Sie spürte einen Kloß im Hals und konnte kaum weitersprechen. »Mein Mann … ist noch immer Sklave. Vor fünf Jahren wurde er an einen Farmer im Süden verkauft. Ich werde ihn nie wiedersehen.«
    Er hörte die tiefe Verzweiflung in ihrer Stimme und wusste alles. »Sie lieben Ihren Mann, nicht wahr?«
    »Von ganzem Herzen.«
    »Ihrem ganzen Herzen?«
    »Ja.«
    Stille senkte sich über den Raum, und Frederic fragte sich, wo Johns Platz in diesem Bild war. Offenbar hegte diese Frau tiefere Gefühle für seinen Sohn. Oder füllte er nur eine Lücke in diesem Leben … war Trost in bedrückender Einsamkeit? Unwillkürlich musste er an Hannah Fields denken. Hannah hatte nicht nur eine Lücke gefüllt. Vor allem hatte sie die Härte des Sklavendaseins am eigenen Leib erlebt und war in dieselbe Stadt geflüchtet. Ob sie und Nicholas noch hier lebten?
    »Ich weiß, was Sie bedrückt, Sir«, sagte Lily.
    Frederic kehrte in die Gegenwart zurück. »Wirklich?«
    »John war für mich da, als ich ihn am nötigsten gebraucht habe«, entgegnete sie leise. »Ich liebe ihn ebenso, wie ich Henry liebe, und das wird sich nicht ändern.«
    Er lachte spöttisch, woraufhin Lily die Stirn runzelte.
    »Offensichtlich glauben Sie mir nicht.«
    »Verzeihen Sie, Mrs Clayton, wie können Sie schwören, Ihren Mann zu lieben, wenn Sie auch einen anderen Mann lieben?«
    »Ist es denn so schwer zu verstehen, dass eine Frau zwei Männer lieben kann?« Tränen stiegen ihr in die Augen. »Es ist möglich, glauben Sie mir. Ich habe zwei Herzen in meiner Brust. Das erste Herz wurde vor fünf Jahren gebrochen, und das zweite bricht in diesem Augenblick.«
    Frederic war verblüfft

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