Die Macht der verlorenen Zeit: Roman
Geräusch entging.
Mit einer Laterne aus dem Häuschen suchte Ryan den Wald hinter dem Schuppen ab, bis er das Ruderboot kieloben in einer Art Unterstand unter dichten Zweigen entdeckte. Er drehte es um, legte Ruder, Holm und Segel hinein und zerrte es einen Pfad entlang, der bis hinunter zum Strand führte, wie Giovanni ihm erklärt hatte. Anschließend schlug er sich den Staub von den Händen und machte sich auf den Rückweg in das kleine Haus.
Giovanni betete, dass sich die Gegenstände, die er vor vier Monaten versteckt hatte, noch an Ort und Stelle befanden. Er war nicht sonderlich überrascht, dass man sein Häuschen durchsucht hatte. Er schüttelte den Kopf. Hielten sie ihn wirklich für so dumm, dass er seine Beute hier versteckte? Oder waren sie die Dummen? Sie hatten nicht einmal die Pistole gefunden, die er unter einem losen Dielenbrett unter dem Bett versteckt hatte. Er ließ eine Patrone in den Lauf gleiten und steckte die restliche Munition in die Tasche. Aus einer Tasse im Schrank holte er den Kompass hervor und aus einem Haufen schmutziger Wäsche ein längeres Tau. Als Letztes nahm er ein Heiligenbild von der Wand und steckte den silbernen Schlüssel ein, der dahinter verborgen war. Dieser Schlüssel öffnete das Tor zum Besitz der Duvoisins. Er besaß noch einen zweiten, den er seit dem Morgen seiner Festnahme am Körper trug. Dieser Schlüssel öffnete seine Zukunft.
John Ryan kam zurück, als Benito gerade das Haus verließ. Sie nickten einander zu, woraufhin der ältere Mann dem Priester den Vortritt ließ. Ihr nächstes Ziel war das Herrenhaus.
Wade Remmen saß am Küchentisch und fuhr sich verzweifelt mit den Händen durchs Haar. Rebecca war seit nunmehr zwei Tagen verschwunden. Er wusste, dass seine Schwester unglücklich war. Oft genug hatte sie sich über das langweilige Leben im Cottage beschwert, aber er hatte nicht hingehört und war nun außer sich vor Sorge. Als er am Tag nach Weihnachten aufwachte und das Haus leer war, hatte er sich nichts Böses gedacht. Doch als er von der Arbeit zurückkam und sie noch immer nicht da war, bekam er es mit der Angst zu tun. Wohin war sie gegangen?
Felicia Flemmings war überhaupt keine Hilfe. Ihrer Meinung nach hatte Rebeccas Verschwinden mit ihrer »Liebe« zu Paul Duvoisin zu tun. Wade war die Schwärmerei seiner Schwester nicht entgangen. Aber Paul war ein erwachsener Gentleman und Rebecca nur ein junges ungebildetes Mädchen mit romantischen Vorstellungen. Als er sich von Felicia verabschiedete, war er nicht schlauer als zuvor. Paul hatte die Insel an Bord der Tempest verlassen. Hatte Rebecca sich aus Kummer an einen Ort geflüchtet, wo sie allein trauern und auf seine Rückkehr warten konnte? So ein Unsinn , dachte Wade, bestimmt ist sie nur wütend auf mich .
Doch an diesem Abend war klar, dass er sich etwas vorgemacht hatte. Ebenso gut konnte etwas passiert sein. Während des Tages hatte er nicht nach ihr suchen können, doch jetzt hatte er ein paar Stunden Zeit, bis er morgen früh wieder in der Sägemühle gebraucht wurde. Er verließ das Haus, und der Mond leuchtete ihm. Warum er zuerst die Richtung zum Herrenhaus einschlug, konnte er nicht sagen. Immerhin war es Pauls Zuhause, und vielleicht fühlte sich Rebecca von diesem Ort besonders angezogen, auch wenn Paul gar nicht dort war.
Jeannette konnte nicht schlafen. Es war lange Wochen her, dass sich die Glastüren zuletzt von allein geöffnet hatten. Seit Pierres Tod war die »Erscheinung« nur noch ein ferner Traum. Doch nicht so in dieser Nacht. Mit einem Mal hörte sie, wie sich der Riegel bewegte und die Tür sacht in den Raum schwang … und das, obwohl sich kein Lüftchen regte. Doch im Gegensatz zu damals hatte sie heute keine Angst mehr … auch wenn es ihr lieber gewesen wäre, wenn ihr Vater, Johnny oder Paul zu Hause gewesen wären. Leise schlüpfte sie aus dem Bett und weckte ihre Schwester.
Yvette rieb sich schlaftrunken die Augen. »Was ist los?«
»Die Türen«, flüsterte Jeannette. »Sie sind wieder aufgegangen.«
Wortlos stand Yvette auf, schloss die Türen und schob den Riegel an seinen Platz. »Das wollen wir doch mal sehen!«
Jeannette fühlte sich unbehaglich, weil ihr Bett näher an den Türen stand. »Kann ich bei dir schlafen?«
Yvette lächelte. »Klar.«
Zum Schutz vor der kühlen Dezemberluft kuschelten sie sich unter die Decke. Ein paar Minuten später öffneten sich die Türen wieder wie von Geisterhand. Die Mädchen sahen einander an. Diesmal
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