Die Macht der verlorenen Zeit: Roman
Warum?
Es dämmerte bereits, als Michael endlich das Jaulen der Hunde hörte. Er sah aus dem Fenster. Verschwitzt und verdreckt kam John in Begleitung eines anderen Mannes, vermutlich seines Aufsehers, auf das Haus zu. Zwei große Hunde sprangen um die beiden herum.
»Was, zum Teufel, führt Sie denn hierher in unsere Einsamkeit?« Johns schiefes Grinsen wurde breiter, als er mit ausgestreckter Hand auf Michael zuging. »Nein, lassen Sie mich raten … Der Papst hat endlich die Wahrheit über Sie erfahren, und jetzt suchen Sie eine neue Arbeit.«
»Die Wahrheit über mich?«, fragte Michael vorsichtig und schüttelte John die Hand.
»Geben Sie es doch endlich zu, Father: Mithilfe Ihrer priesterlichen Kräfte haben Sie Brot und Wein in Steak und Ale verwandelt. Wo bleibt das Abendessen?«
Michael stimmte in das Lachen des Aufsehers ein und sah erleichtert zum Himmel empor. Sie gingen in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken, und John machte Brian mit Father Michael bekannt. »Aber jetzt im Ernst: Was führt Sie zu uns, Michael?«
Michael sah zu Brian hinüber, der den Wink sofort verstand und durch die Hintertür zu den Hütten hinüberging. Auch die Köchin, die ständig zwischen Küchenhaus und Küche gependelt war, verschwand, und John und Michael setzten sich mit ihren Gläsern an den Tisch.
»Meine Gemeindemitglieder reden in letzter Zeit nur noch von Ihrem Bruder«, begann er. »Offenbar soll die Eröffnung seines Unternehmens groß gefeiert werden.«
John zuckte die Schultern. »Seit einem Jahr kultiviert er die Nachbarinsel und hat inzwischen auch einen Hafen angelegt. Mein Vater hat ihm die Insel geschenkt. Ist das alles?«
»Ich will mich wirklich nicht einmischen, aber einige Gemeindemitglieder reisen demnächst nach Charmantes, um an dem Fest teilzunehmen. Fahren Sie denn nicht hin?«
John lehnte sich zurück. »Bisher habe ich keine Pläne.«
»Und warum nicht? Würde sich Ihr Bruder denn nicht über Ihre Unterstützung freuen?«
John kratzte sich am Kopf. »Haben Sie meinen Schwur völlig vergessen, Father?«
»Ich weiß, dass Sie im letzten Herbst dort waren«, sagte der Priester leise.
Überrascht sah John auf. »Ihr Butler hat es mir gesagt«, erklärte Michael.
Johns Kopf sank herab, als ihn die schmerzliche Erinnerung überkam, und sein Herz klopfte schneller.
»Wollen Sie mir nicht endlich sagen, was passiert ist? Warum sind Sie trotz Ihres Schwurs zurückgegangen?«
John rieb seine Stirn. Stille breitete sich aus, während er nach Worten suchte. »Colette hat mir geschrieben und mein Freund George … Er hat mir den Brief überbracht. Es war nicht einfach, mich zu finden. Ich war damals in New York, und er hat Wochen gebraucht, um mich ausfindig zu machen. Als ich in Charmantes ankam, war Colette tot.« Seine Kehle krampfte sich zusammen, sodass er kein Wort mehr herausbrachte.
Er liebt sie noch immer , dachte Michael bekümmert. Nach all den Jahren liebt er sie noch immer. »Und der Junge?«
»Den habe ich ebenfalls auf dem Gewissen …«, stieß John mit düsterer Miene hervor, bevor ihm die Stimme versagte. »Den habe ich ebenfalls getötet.« Als er sich wieder gefasst hatte, erzählte er Father Michael die ganze Geschichte.
»Das alles ist jetzt Vergangenheit«, versuchte Michael zu trösten. »Sie müssen nach vorn schauen.«
»Das weiß ich, und genau das tue ich.«
»Und warum fahren Sie dann nicht nach Charmantes? Sie sind doch bestimmt eingeladen worden, oder?«
»Sozusagen.«
»Sozusagen? Was bedeutet das?«
»Mein Vater hat mich eingeladen, was ebenso gut ist, als wenn Paul es getan hätte.«
»Ihr Vater hat Sie eingeladen?« Michael war überrascht. »Warum zögern Sie dann noch?«
Johns Schweigen war beredt genug.
»Sind Sie wütend auf Ihren Bruder?«
»Ganz im Gegenteil. Ich hoffe, dass seine Unternehmungen seine wildesten Träume noch übertreffen.«
»Also geht es um Ihren Vater«, schloss Michael. »Sie hassen ihn noch immer.«
John biss die Zähne aufeinander. »Ich fahre nicht hin, weil ich jedes Mal das Unglück förmlich anziehe. Es ist für alle Beteiligten am besten, wenn ich mich fernhalte.«
»Aber Ihr Vater hat Sie eingeladen. Das bedeutet doch, dass er Ihnen vergeben hat.«
»Das bedeutet nur«, zischte John ungehalten, »dass die Gäste uns als glückliche reiche Familie erleben sollen. Und das zum Nutzen meines Bruders.«
»Nein, John. Es bedeutet, dass er Ihnen vergeben hat. Das weiß ich. Und Sie wissen es auch, wie ich
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