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Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Titel: Die Macht der verlorenen Zeit: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DeVa Gantt
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aussieht, hat sie letzte Nacht nicht in ihrem Bett geschlafen.«
    »Und du vermutest, dass sie woanders geschlafen hat?«, fragte John sarkastisch und funkelte seinen Bruder an. »Ist das so?«
    Paul sparte sich die Antwort.
    John kehrte zu seinem Bett zurück. »Habt ihr schon in der Kapelle nachgesehen?« Er setzte sich und zog seine Stiefel an.
    Yvette rümpfte ihr Näschen. »Für die Messe ist es doch noch viel zu früh.«
    »Trotzdem würde ich dort nachsehen. Vielleicht hat sie sich über etwas aufgeregt und wollte allein sein.« Er drehte sich zu seinen Schwestern um. »Ihr solltet auch oben suchen. Vielleicht war es ihr ja zu laut, und sie hat irgendwo in den oberen Räumen geschlafen. Ach ja, Paul … du könntest auch im Bootshaus nachsehen.«
    Paul runzelte die Stirn. John musste ihn letzte Nacht mit Anne beobachtet haben.
    »Im Bootshaus?«, fragte Jeannette. »Was soll sie denn dort machen?«
    »War nur so ein Gedanke.« Grinsend zuckte John die Schultern und ging dann mit schnellem Schritt davon.
    Die Zwillinge rannten nach oben, wo die Dienstboten wohnten, doch Paul blieb noch einen Moment stehen und starrte unentschlossen auf den Türknauf. Vielleicht hatte sie sich im Ankleidezimmer versteckt? Er zögerte, aber dann entschied er sich dagegen. Falls Charmaine die letzten Stunden mit John verbracht hatte, würde er alles abstreiten. Und ihr traute er eine solche Dummheit, ehrlich gesagt, nicht zu.
    Plötzlich verspürte er Hunger. Er ließ die Messe Messe sein und kehrte ins Esszimmer zurück, um zu frühstücken.
    Keine halbe Stunde später kehrte John mit einem frischen Laken und Kleidern für Charmaine ins Ankleidezimmer zurück. Sie versuchte gerade, ihr Haar mit seinem Kamm zu entwirren. An eine Bürste hatte er nicht gedacht.
    Sie fuhr herum, als er so plötzlich eintrat, und errötete bei der Erinnerung an die vergangene Nacht.
    Sie war unglaublich schön. Johns Herz setzte einen Schlag lang aus. Er spürte, wie ihr schüchternes Lächeln ihn erregte … aber dafür war später noch Zeit genug. Der Gedanke, dass er von nun an unendlich viele Nächte mit dieser Frau verbringen würde, ließ ihn lächeln.
    »Die Luft ist rein, my charm . Die Mädchen suchen im oberen Stockwerk, und ich finde dich unten in der Kapelle, wo du auf die Messe gewartet hast.«
    Er überlegte, ob sie Pauls Stimme im Flur gehört hatte, fragte aber nicht, sondern umfasste ihr Kinn und küsste sie sanft auf die Lippen.
    Sie dachte an die vergangene Nacht und musste sich an ihm festhalten, um nicht zu schwanken.
    »Das war das lange Warten wert, my charm .«
    Er kehrte ins Schlafzimmer zurück, damit sie sich in Ruhe anziehen konnte. Als sie fertig war, breitete er gerade das frische Laken über das befleckte. »Morgen verstehst du das«, erklärte er auf ihren fragenden Blick hin. Wortlos half sie ihm, das Bett zu machen.
    »Jetzt komm«, sagte er. Vorsichtig spähte er nach allen Seiten, bevor er sie aus dem Zimmer führte. Rasch gingen sie ins Foyer hinunter und in den unaufgeräumten Ballsaal. Die Bediensteten waren bis spät in die Nacht beschäftigt gewesen und noch nicht zur Arbeit erschienen. Nirgendwo war eine Menschenseele zu sehen.
    »Es ist doch noch viel zu früh für die Messe«, sagte Charmaine, als John sie zur Kapelle führte. In diesem Moment schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf, und sie blieb wie vom Blitz getroffen stehen.
    »Was ist los?«, fragte John.
    »Ich habe eine schwere Sünde begangen.« Sie schlug die Hände vors Gesicht. »Jedermann wird es wissen, wenn ich nicht zum Abendmahl gehe.«
    »Sorge dich nicht.« Das klang zwar freundlich, oder wollte er sich nur über ihren Glauben lustig machen? Auf das, was jetzt kam, war sie jedenfalls nicht gefasst. »Wir sind nicht zur Messe hergekommen, Charmaine, sondern zu unserer Hochzeit. Das heißt … falls du mich überhaupt willst.«
    Charmaine war sprachlos. Als sie in Johns Ankleidezimmer allein war, hatte sie die Wirklichkeit eingeholt. Sie hatte sich bitterste Vorwürfe gemacht, dass sie ihrer Lust gefolgt war. Zeitlebens war sie immer ein anständiges Mädchen gewesen! Selbst die Erinnerung an ihre Liebesnacht, an den wunderbaren Augenblick, als sie völlig eins waren, konnte den Vorwurf nicht mindern. Es stimmte. Sie hatte sich leichtsinnig an ihn verschenkt, denn bis zu diesem Moment hatte sie nicht gewusst, ob er sie genauso begehrte wie sie ihn.
    » Ob ich dich haben will? «, fragte sie völlig entgeistert. »Soll das ein Scherz sein?«

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