Die Macht der verlorenen Zeit: Roman
geholfen, ihn über den Balkon zu schieben, damit niemand etwas merkt.«
John runzelte die Stirn. »Und warum?«
Yvette kicherte unter seinem strengen Blick. »Das ist doch Teil des Geschenks, Dummkopf!«
»Ist das nicht wundervoll, Mademoiselle?« Jeannette war begeistert. »So sind Sie immer noch nahe bei uns und Johnny jetzt auch!«
»Stimmt«, fiel Yvette ein. »Außerdem können wir Ihnen jeden Morgen Frühstück bringen, und Sie können uns beim Gewitter Gesellschaft leisten …«
»Verdammt, Kinder! Glaubt ihr nicht, dass ihr ein bisschen zu weit geht?« Sein finsteres Gesicht brachte Jeannette dazu, sich hinter Charmaines Röcke zu flüchten. Die Tränen standen ihr in den Augen.
Yvette ließ sich nicht so leicht beeindrucken. »Ein feiner Bruder bist du! Wir haben uns den ganzen Nachmittag damit abgemüht! Von mir bekommst du kein Geschenk mehr! Das schwöre ich!«
Finster sahen sie einander an. Dann zog John am Klingelzug. Als Travis erschien, gab er ihm den Auftrag, an der Verbindungstür zum Kinderzimmer einen Riegel anzubringen. Dann fragte er nach George.
»Er befindet sich zusammen mit Miss Wells im Wohnzimmer«, antwortete Travis.
»Würden Sie ihn bitte heraufschicken?«
Als Travis ging, sah Jeannette ihren Bruder bekümmert an. »Ich dachte, du würdest dich über unser Geschenk freuen. Wir könnten so viel Spaß haben!«
So viel Unschuld ließ John verstummen. Yvette dagegen traute er durchaus auch andere Absichten zu.
Kurz darauf erschien George. »Du brauchst Hilfe?«
»Genau. Ich möchte das Bett ins Ankleidezimmer schieben. Yvette hat beschlossen, dass sie uns dieses Schlafzimmer zur Hochzeit schenken möchte.«
George lachte verstohlen. »Wie gemütlich.«
»Übertreibst du nicht ein bisschen?«, warf Charmaine ein.
Ungläubig starrte John sie an. »Spätestens wenn wir eines schönen Tages morgens ›beschäftigt‹ sind, wirst du für den Riegel dankbar sein, my charm .«
Charmaine errötete. »Ich rede nicht von dem Schloss. Ich überlege nur, warum du das Bett nach nebenan räumen willst.«
»Warum fragst du Yvette nicht, wie viele Gläser sie schon im Kinderzimmer gehortet hat?«
Nachdem das Bett umgeräumt worden war, seufzte Charmaine erleichtert. Es hatte ihr nicht wirklich behagt, mit John in einem Raum zu schlafen, den er vermutlich mit Colette geteilt hatte und der traurige Erinnerungen an Pierres Tod barg. In ihrem neuen Zuhause würden jetzt neue, eigene Erinnerungen wachsen.
John trat hinter sie. Er musste genau gespürt haben, was sie bewegte. »So ist es gut, my charm . In dem anderen Zimmer hätte ich ohnehin nicht gern geschlafen.«
Edward Richecourt drehte sein Gesicht in den Wind und sah mit tiefem Seufzer zu Helen hinüber, die mit ein paar Freundinnen an der Reling stand und den neuesten Klatsch besprach. Wenn das Schiff einmal zu heftig schaukelte, griffen die Ladys nach der Reling oder dem nächstbesten Arm, um nicht die Balance zu verlieren. Helen … Damals war Helen die Schönste von ganz Richmond, doch inzwischen waren sie beide gealtert. Helen allerdings mehr als er selbst.
Helen Larabbie zu heiraten war nur folgerichtig. Sie war die Älteste von drei Mädchen, deren Vater eine angesehene Kanzlei in Richmond besaß. Als der junge und ehrgeizige Edward Helen den Hof machte, hätte der alte Neil nicht begeisterter sein können. Die beiden Männer verstanden und vertrauten einander persönlich und geschäftlich aufs Beste, sodass die Kanzlei an die nächste Generation übergehen konnte, zumal einer der beiden Enkel, die Edward und Helen dem alten Neil beschert hatten, bereits Jura studierte. Neil erwartete von seinem Schwiegersohn lediglich, dass er den guten Ruf der Firma bewahrte und seine Tochter glücklich machte.
Was seine Affären anging, so war Edward sehr diskret. Wem schadete das schon? Helen begeisterten die ehelichen Pflichten nur wenig, und er fand Entspannung bei jungen Dingern, für die er ein erfolgreicher, weltgewandter Mann war.
John Duvoisins Triumph … erwies sich womöglich als Edwards Waterloo! Der alte Neil Larabbie hatte vermutlich noch zehn Jahre vor sich. Zehn lange Jahre! Du lieber Himmel! Was, wenn ihm Edwards Abenteuer mit dem Hausmädchen hinterbracht wurde? Was, wenn Helen es herausfand? Er durfte gar nicht darüber nachdenken, dass sein Schicksal erneut von dem verhassten John Duvoisin abhing. Ob John Larabbie einweihte? Dabei hatte er sein Abenteuer nicht einmal genießen können. John hatte ihn buchstäblich
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