Die Macht der verlorenen Zeit: Roman
sie bisher überwiegend in Zelten hausten, ermunterte er sie, in der Nähe des Hafens einfache Holzhäuser zu errichten, und stellte ihnen das nötige Bauholz zum Selbstkostenpreis zur Verfügung.
Trotz der vielen Arbeit kümmerte sich Paul noch Tag für Tag um Agatha. Eine Zeit lang schien es ihr besser zu gehen, doch sobald er einen Besuch versäumte, folgte sofort die nächste beunruhigende Nachricht seiner Haushälterin. Es war immer dasselbe: Agatha hörte Stimmen. Für gewöhnlich führte sie die Unterhaltung allein, doch immer mal wieder hörte Grace auf der anderen Seite des Raums auch leises Geflüster. Lachend tat Paul ihre Vermutungen als abergläubisch ab, bis Grace eines Tages genug von den beängstigenden Vorfällen hatte und ihren Dienst quittierte.
Samstag, 10. Juni 1838
Glückstrahlend betrat Mercedes die Kapelle.
George wartete am Altar und zitterte vor Aufregung. Als Verstärkung hatte er zwar Paul und John an seiner Seite, aber ihre Neckereien verfehlten die beruhigende Wirkung. Es sei nie zu spät zur Flucht, meinte Paul. Ob er wirklich auf so gute Jahre als Junggeselle verzichten wolle? Keine nächtlichen Besäufnisse bei Dulcie’s, kein Flirt mit den Barmädchen und erst recht kein Schäkern mit den hübschen Mädchen mehr, die es auf ihn abgesehen hatten. »Und dein Geld kannst du von jetzt an auch nicht mehr sparen«, fügte John hinzu.
Als Mercedes hinter den Zwillingen zum Altar ging, strahlte George über das ganze Gesicht. Dieses Lächeln würde er nie mehr verlieren, dachte Charmaine. Neben Freunden und Bekannten waren auch Wade Remmen und die Brownings zur Hochzeit geladen. John und Charmaine standen als Trauzeugen direkt neben dem Altar, und nach der Zeremonie waren sie die Letzten in der Reihe, die den Neuvermählten Glück wünschten. Charmaine küsste Mercedes auf beide Wangen und schloss George in die Arme.
Beim Empfang auf der Veranda kam Caroline Browning auf Charmaine zu. »Meine liebe Charmaine, Sie sehen wirklich wunderbar aus!«
»Es geht mir auch ausgezeichnet«, entgegnete Charmaine mit einer gewissen Zurückhaltung.
»Harold und ich freuen uns so sehr mit Ihnen. Ich wusste, ich würde recht behalten, als ich meine Schwester davon überzeugt habe, Sie hierher nach Charmantes zu schicken! Sehen Sie sich nur den prächtigen Gentleman an, den Sie geheiratet haben!«
Charmaine war verblüfft. Sie erinnerte sich nur zu gut an Carolines beißende Kommentare über die jungen Duvoisins. »Ich hatte wirklich großes Glück, Mrs Browning.«
»Die Ehe bekommt Ihnen, wie man sieht.« In dieser Art ging es weiter, während sie Charmaine von Kopf bis Fuß musterte.
»Auch von mir nur die besten Wünsche, Charmaine«, sagte Harold Browning, als er sich zu ihnen gesellte. »Wie klug von John, Sie zur Frau zu wählen!«
»Das will ich meinen!« Caroline klatschte in die Hände. »Rufen Sie ihn doch her, damit wir ihm ebenfalls gratulieren können!«
Widerstrebend erfüllte Charmaine ihren Wunsch.
John entschuldigte sich bei Mercedes und George und kam zu ihnen.
»Willkommen in unserer Familie«, schnurrte Caroline.
»In Ihrer Familie?«
»Aber ja! Charmaine ist meiner Schwester so lieb wie eine Tochter. Für uns gehört sie zur Familie, John. Ich darf Sie doch John nennen, ja?«
»Zumindest hieß ich heute Morgen noch so.«
Charmaine bemerkte das Funkeln in seinen Augen, doch Caroline entging es.
»Ich habe Ihrer Frau gerade gesagt, dass sie ohne mich nie von dieser Stellung erfahren hätte. Mit etwas Überredungskunst konnte ich meine Schwester davon überzeugen, dass Charmantes genau das Richtige für Charmaine war.«
»Ich danke Ihnen sehr, dass Sie Schicksal gespielt haben, Mrs Browning.«
»Seien Sie doch nicht so förmlich, John. Nennen Sie mich einfach Caroline.«
Harold zupfte unbehaglich an seinem Kragen, während seine Frau weiterplapperte. »Auch ich habe Ihnen zu danken, John. Gwendolyn schreibt, dass ihr der ehrenwerte Mr Elliot den Hof macht. Wenn Sie nicht gewesen wären …«
»Oh, bedanken Sie sich nicht bei mir.« John wedelte mit der Hand. »Das war sozusagen Schicksal … ich meine … die beiden mussten einander einfach begegnen!«
»Trotzdem danke ich Ihnen, denn genau das hat meiner Gwendolyn immer gefehlt … Ein gut aussehender junger Mann, der ihr den Hof macht …«
Rose rief zum Glück kurz darauf die Gäste zusammen, um den Kuchen anzuschneiden. Charmaine und John spazierten hinter den Brownings her zu der kleinen Gruppe hinüber, die
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