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Die Macht des Zweifels

Titel: Die Macht des Zweifels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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hat, der Ihnen die Augen hätte öffnen müssen. Sie werden so fest mit der Faust gegen die Kabinentür auf der Damentoilette schlagen, daß Sie einen Bluterguß am Handgelenk kriegen. Sie werden in Tränen ausbrechen, wenn der Zeitungsverkäufer Ihnen einen schönen Tag wünscht. Sie werden sich fragen, Wie war das möglich . Sie werden sich fragen, Was wenn .
    Als Caleb und ich nach Hause fahren, sitzt ein Elefant zwischen uns, ein gewaltiger Berg, der uns trennt, unmöglich zu ignorieren, und doch tun wir beide so, als könnten wir ihn nicht sehen. Nathaniel schläft auf der Rückbank, in der Hand einen Lutscher, den Dr. Robichaud ihm geschenkt hat.
    Ich bekomme kaum Luft. »Er muß uns sagen, wer«, bricht es schließlich aus mir heraus. »Er muß einfach.«
    Â»Er kann nicht.«
    Genau darum geht es. Nathaniel kann nicht sprechen, selbst wenn er will. Er hat noch nicht lesen oder schreiben gelernt. Solange er sich nicht verständlich machen kann, gibt es niemanden, der verantwortlich gemacht werden könnte. Solange er sich nicht verständlich machen kann, ist das hier noch kein Fall.
    Â»Vielleicht irrt sich die Psychiaterin ja«, sagt Caleb.
    Ich sehe Caleb an. »Glaubst du Nathaniel nicht?«
    Â»Ich weiß nur, daß er bisher noch nichts gesagt hat.« Er blickt in den Rückspiegel. »Ich will jetzt nicht drüber reden, wenn er dabei ist.«
    Â»Meinst du, davon geht es weg?«
    Caleb schweigt. »Die nächste Abfahrt müssen wir raus«, sage ich kühl, weil Caleb weiter auf der linken Spur bleibt.
    Â»Ich weiß, wie ich fahren muß, Nina.« Er wechselt auf die rechte Spur, setzt den Blinker. Doch einige Augenblicke später fährt er an der Ausfahrt vorbei.
    Â»Du bist –« Der Vorwurf erstirbt, als ich sein Gesicht sehe, von Kummer gezeichnet. Ich glaube, er weiß nicht einmal, daß er weint. »Oh, Caleb.« Ich will den Arm ausstrecken und ihn berühren, doch dieser verdammte Elefant ist im Weg. Caleb hält plötzlich an, steigt aus und geht am Straßenrand auf und ab, nimmt tiefe Atemzüge, so daß seine Brust sich heftig hebt und senkt.
    Einen Moment später kommt er zurück. »Ich wende einfach und fahr zurück«, sagt er – zu wem? Mir? Nathaniel? Sich selbst?
    Ich nicke. Und denke, Wenn es nur so einfach wäre .

    Nathaniel beißt die Backenzähne fest aufeinander, so daß das Summen der Straße einfach durch ihn hindurchgeht. Er schläft nicht, aber er tut so als ob. Seine Eltern sprechen miteinander, die Worte so leise geflüstert, daß er sie nicht ganz versteht. Vielleicht wird er nie wieder schlafen. Vielleicht wird er wie ein Delphin und bleibt immer halbwach.
    Miss Lydia hat ihnen das mit den Delphinen letztes Jahr erzählt, nachdem sie das Klassenzimmer in einen Ozean aus blauem Kreppapier mit Seesternen aus Glitzerpapier verwandelt hatten. Deshalb weiß Nathaniel, daß Delphine ein Auge zumachen und die Hälfte von ihrem Gehirn abschalten und auf einer Seite schlafen, während die andere Seite nach Gefahren Ausschau hält. Er weiß, daß Delphinmamas für ihre Babys schwimmen, wenn die sich ausruhen, sie einfach in der Unterwasserströmung mitziehen, als wären sie durch unsichtbare Fäden verbunden. Er weiß, daß Delphine sich an den Plastikringen, mit denen die Cola-Sechserpackungen zusammengehalten werden, verletzen können, bis sie entkräftet ans Ufer gespült werden. Und daß sie, obwohl sie Luft atmen, dort sterben.
    Nathaniel weiß auch, daß er, wenn er könnte, das Fenster herunterlassen und ganz weit hinausspringen würde, über die Leitplanke und den hohen Zaun und über die Felsenklippe bis hinunter ins Meer. Er würde eine glänzende, silbrige Haut bekommen und ein immerwährendes Lächeln. Er würde ein besonderes Organ bekommen – wie ein Herz, aber anders –, das mit Öl gefüllt ist und »Melon « genannt wird. Es würde sich bei ihm unter der Stirn befinden und wäre dazu da, Geräusche hervorzubringen, damit er sich auch im finstersten Ozean in der dunkelsten Nacht zurechtfinden könnte.
    Nathaniel stellt sich vor, wie er von der Küste von Maine wegschwimmt, bis ans andere Ende der Welt, wo es schon fast wieder Sommer ist. Er preßt die Augen, so fest er kann, zusammen, konzentriert sich darauf, ein fröhliches Geräusch zu

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