Die Macht des Zweifels
Tom. »Darauf sollten wir uns konzentrieren, und wenn wir diese erste Hürde genommen haben, können wir überlegen, wie wir weiter vorgehen.«
Ich starre auf meinen SchoÃ. »Ich verstehe, was Sie sagen.«
»Dann ist ja gut.«
Ich hebe den Blick und lächle schwach. »Sie sagen das gleiche, was ich den Opfern sage, wenn ich im Grunde nicht weiÃ, ob eine Verurteilung überhaupt zu erreichen ist.«
Es spricht für Tom LaCroix, daà er nickt. »Sie haben recht. Aber ich versuche nicht, Ihnen was vorzumachen. Wir wissen doch nie, welche Fälle gut laufen, welche Fälle mit einer auÃergerichtlichen Einigung enden, welche Kinder umfallen, welche Kinder sich so weit erholen, daà sie ein Jahr später besser aussagen können als am ersten Tag.«
Ich stehe auf. »Aber Sie haben es selbst gesagt, Tom. Heute haben mich diese anderen Kinder nicht zu interessieren.
Heute geht es nur um mein eigenes Kind.« Ich gehe zur Tür, noch ehe Caleb sich von seinem Platz erhoben hat. »Ein Uhr«, sage ich, und das ist eine Warnung.
Caleb holt sie erst in der Eingangshalle ein, und dann muà er sie in eine kleine Nische ziehen, wo die Reporter sie nicht sehen können. »Was sollte das denn?«
»Ich schütze Nathaniel.« Nina verschränkt trotzig die Arme.
Sie wirkt zittrig und unsicher, kaum wiederzuerkennen. Vielleicht liegt es bloà an der Unerbittlichkeit dieses Tages. Caleb geht es weià Gott auch nicht gerade gut. »Wir sollten Monica Bescheid geben, daà sich die Sache verzögert.«
Aber Nina zieht sich ihren Mantel an. »Kannst du das machen?« fragt sie. »Ich muà noch schnell ins Büro.«
»Jetzt?« Es ist zwar nur eine Viertelstunde Fahrt. Aber knapp ist es trotzdem.
»Ich muà dringend etwas holen, das Thomas braucht«, erklärt sie.
Caleb zuckt die Achseln. Er schaut Nina nach, wie sie die Eingangstreppe hinuntergeht. Die Blitzlichter mehrerer Kameras prasseln wie Kugeln auf sie ein. Caleb sieht, wie sie einen Reporter abwimmelt, als verscheuche sie eine lästige Fliege.
Er will ihr nachlaufen und sie in die Arme schlieÃen, bis die Mauer um sie herum rissig wird und der ganze Schmerz herausströmt. Er will ihr sagen, daà sie bei ihm nicht so stark sein muÃ, weil sie das alles gemeinsam durchstehen. Sie müÃte nur die Scheuklappen abnehmen, dann würde sie sehen, daà sie nicht allein ist.
Caleb geht bis zu der offenen Glastür, um Nina weiter nachzuschauen. Inzwischen ist sie nur noch ein kleiner Punkt, weit drauÃen auf dem Parkplatz. Er will ihren Namen schon rufen, aber dann wird er von einem grellen Licht geblendet â wieder ein Fotograf. Er weicht zurück, und es dauert einen Moment, ehe er wieder klar sehen kann. Und so entgeht es ihm, daà Nina in die entgegengesetzte Richtung ihres Büros fährt.
Ich bin zu spät.
Ich haste durch die Eingangstür des Gerichts, laufe an der Schlange von Menschen vorbei, die darauf warten, durch den Metalldetektor geschleust zu werden. »Hallo Mike«, sage ich atemlos, als ich mich hinter dem Gerichtsdiener vorbeischiebe, der nur knapp nickt. Unser Gerichtssaal ist linker Hand. Ich öffne die Tür und gehe hinein.
Er ist voller Reporter und Kameraleute, alle in den hinteren Reihen zusammengepfercht. Dieser Fall erregt Aufsehen in York County, Maine. Dieser Fall würde überall Aufsehen erregen.
Ich gehe nach vorn, wo Patrick und Caleb sitzen. Sie haben mir einen Platz am Gang freigehalten. Einen Moment lang muà ich gegen einen natürlichen Impuls ankämpfen â einfach weiterzugehen und mich neben Thomas LaCroix an den Tisch der Anklagevertretung zu setzen.
Den Verteidiger kenne ich nicht. Vermutlich einer aus Portland. Jemand, den die Diözese für solche Fälle engagiert. Rechts vom Tisch der Verteidigung hat sich ein Kameramann postiert, den Kopf tief über die Kamera gebeugt.
Patrick bemerkt mich als erster. »He«, sagt er. »Alles klar?«
Caleb ist verärgert, wie ich erwartet hatte. »Wo warst du denn? Ich hab versucht â«
Was auch immer er sagen will, er wird von dem Gerichtsdiener unterbrochen, der laut ruft: »Der ehrenwerte Richter Jeremiah Bartlett hat den Vorsitz.«
Den Richter kenne ich natürlich. Er hat die einstweilige Verfügung gegen Caleb unterzeichnet. Er weist uns an, Platz zu nehmen, aber mein Körper ist steif wie ein Brett
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