Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
denen Girolamo teilgenommen hatte. Ein verbeulter Helm, ein schwerer lederner Harnisch, ein schartiges Schwert von einem so gewaltigen Ausmaß, wie es sonst höchstens in den Heldensagen der alten Griechen besungen wurde.
Auf einem roh gezimmerten Tisch an der Längsseite des Raumes verbreiteten zwei Talgkerzen ihr gelbliches Licht. Ein mit Nägeln in die Wand geschlagener, durchgewetzter Seidenteppich persischer Herkunft zeugte ebenso von dem rührenden Wunsch nach Wohnlichkeit wie die bestickte Decke auf der unförmigen Strohmatratze. Die Decke und die hochwertige Wäsche in Girolamos Truhe waren Geschenke dankbarer Nonnen, die ihm auf diese Art für seinen Begleitschutz dankten. Es gab kaum eine Frau in San Lorenzo, die dem stummen Torhüter nicht hin und wieder etwas zusteckte, sei es ein Törtchen mit kandierten Früchten, eine Hand voll Feigen, ein besticktes Tuch, eine parfümierte Kerze oder ein Laken für sein Bett.
Sanchia zeigte sich auf die Weise erkenntlich, die ihr am ehesten lag. Sie drängte Girolamo auf den Schemel neben seiner Bettstatt und half ihm, Wams und Hemd abzustreifen. Er hielt beides gegen die Brust gedrückt und saß steif und aufrecht da, während sie hinter ihn trat. Als sie seinen Rücken sah, zog sie die Luft durch die zusammengebissenen Zähne ein. Die Haut über seinen alten Wunden war am äußeren Rand des rechten Schulterblatts aufgebrochen und fast bis auf den Knochen hinab entzündet.
Sie legte behutsam die Hand auf seinen Nacken. »Da ist wieder fauliges Fleisch. Ich werde schneiden müssen.«
Er hielt kurz den Atem an und verkrampfte sich, dann senkte er zum Zeichen seiner Zustimmung den kahlen Schädel.
Die Tür flog mit einem Poltern auf, und Sanchia fuhr zusammen, eher überrascht als entsetzt. Bruder Ambrosio dräute wie ein großer, missgestalteter Vogel mit schwarz-weißem Gefieder im Eingang des Pförtnerhäuschens und starrte sie an, während sie immer noch die Hand auf Girolamos nackter Schulter liegen hatte.
Im Kerzenlicht leuchteten die Augen des Dominikaners wie Obsidian, und sein Mund öffnete sich zu einem Lächeln, das seinem Gesicht in einen Totenschädel mit gebleckten Zähnen verwandelte. »Ich wusste es. Ihr frönt der Fleischeslust. Sooft es nur eben geht. Ihr riecht danach, immer wenn Ihr in die Nähe meiner Nase kommt. Eure Augen glühen ständig in dem Feuer ungestillter Lust.« Seine Stimme nahm einen zischelnden Ton an. »Wem gebt Ihr Euch noch hin außer dem jungen Caloprini und diesem großen, stummen Barbaren? Habt Ihr auch ein Auge auf den greisen Priester geworfen? Oder den jüdischen Arzt, der seine verderbten Hände auf jeden Körper legt, der sich ihm präsentiert?«
»Ich versorge Girolamos Wunden«, sagte Sanchia ruhig. »Kommt herein und seht zu, wenn Ihr wollt.«
Ambrosio lachte laut und abgehackt, dann warf er die Tür von außen zu.
Girolamo warf ihr über die Schulter einen Blick zu. Willst du gehen?, fragten seine Augen.
Doch sie zuckte nur die Achseln und machte weiter. Während sie eine der Kerzen neben den Schemel stellte und die benötigten Instrumente und Verbandsmittel aus ihrem Beutel nahm, konzentrierte sie sich auf Girolamos Behandlung. Sein Rücken war eine einzige Narbenlandschaft, ein wirres Geflecht aus wulstigen und breiten Erhebungen oder tief eingekerbten und dafür schmaleren Furchen, manche rotblau verfärbt und zu ständigen Entzündungen neigend, andere rosa oder nahezu verblasst.
»Die Stelle an der Schulter musst du mehr schonen«, sagte sie betont sachlich. »Dein Wams scheuert sie immer wieder auf. Versuch einmal, stattdessen einen losen Überwurf zu tragen. Und leg möglichst immer einen Streifen saubere Baumwolle zwischen Haut und Hemd, am besten doppelt oder dreifach gefaltet.«
Er nickte stoisch und wartete auf die Behandlung, die er wie immer ohne einen Laut über sich ergehen lassen würde. Gegen die Qualen, die er bereits ausgehalten hatte, waren die Schnitte, die ihm Simon oder Sanchia hin und wieder zufügen mussten, vergleichsweise mild, dennoch wusste sie, dass ein weniger robuster Mann bei der Behandlung vor Schmerzen gebrüllt oder gleich bewusstlos zusammengesackt wäre. Opium war selten und teuer und wurde vorzugsweise bei Amputationen, Brandopfern oder sterbenden Geschwulstkranken angewendet, Sanchia ging folglich sorgsam und sparsam damit um, obwohl sie immer einen kleinen Vorrat in ihrem Beutel mit sich führte. Girolamo würde ohne die Droge auskommen müssen – weil er es
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