Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
dir dafür mehr bezahlt, als du für ein ganzes Leben Dienst im Palazzo Ducale verdienen könntest!«
»Noch habe ich das Gold nicht gesehen. Du hast mir nur geschrieben , dass ich es bekomme.«
»Sag nur noch ein grobes Wort, und du kannst ohne Gold deiner Wege ziehen.«
Giustiniano grinste. »Das meint ihr nicht wirklich. Ihr legt zu viel Wert auf Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Ach ja, und natürlich auf Verschwiegenheit.«
Der Junge meldete sich zu Wort. »Die roten Haare meinte ich doch gar nicht.«
Sanchia hatte sofort begriffen, worum es ihm ging, doch dieser Vorsprung vermochte den Aufruhr, der in ihrem Inneren tobte, nicht zu beruhigen. Sie versuchte vergeblich, dem Zittern ihrer Hände Einhalt zu gebieten. Obwohl der erste Schock sich gelegt hatte, war ihr immer noch schlecht.
»Die Leute sagen immer, Giustiniano ist hässlich. Aber ich finde, er ist nicht hässlicher als die großen Leute. Nur anders. Er sieht aus wie eine freundliche Maus. Mäuse sind auch nicht hässlich. Das habe ich gemeint. Mama, kann ich Honig in meine Milch haben? Gibt es hier im Haus auch einen Hund? Und kann ich vielleicht Feuer im Ofen anmachen? Ich bin auch ganz vorsichtig.«
»Da habt Ihr es«, sagte Giustiniano. »So geht es den ganzen Tag.«
Sanchia starrte den Jungen an, der seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war.
»Willst du Marco nicht guten Morgen sagen?«, fragte Giulia freundlich.
»Guten Morgen, Marco«, flüsterte Sanchia.
Sie merkte, wie Giulia ihr aus den Augenwinkeln heraus einen Blick zuwarf, dem ein höhnischer Ausdruck anhaftete. Es war fast, als hätte Giulia sich auf diesen Moment der Wahrheit besonders gefreut. Sanchia erinnerte sich an Giulias Worte nach ihrer Flucht, ein Satz, den sie zu Eleonora gesagt hatte. Für alle Dinge im Leben gibt es eine richtige und eine falsche Zeit.
Offenbar war dies die richtige Zeit, die Lüge eines Toten zu entlarven.
»Warum konntest du es mir nicht einfach sagen, als ich dich gefragt habe?«
»Du hättest es mir ja doch nicht geglaubt. Alles, was Lorenzo dir erzählt hat, war doch das Evangelium für dich!« Giulias kalte Blicke trafen sie im Spiegel, während Sanchia hinter ihr stand und Giulia vor der Kommode saß und mit dem Kamm ihr Haar entwirrte. Der Kleine schlief im Nebenzimmer, und auch Giustiniano hatte sich in eine der Kammern zurückgezogen, um sich auszuruhen. Es war immer noch früh am Tage, und Sanchia war so erschöpft, dass ihr Körper bis in die Knochen schmerzte, doch in ihrem derzeitigen Zustand hätte sie kein Auge zutun können.
»Ich weiß überhaupt nicht, was du willst!«, fuhr Giulia fort. »Er ist tot, und wen schert es noch, ob er einen Sohn hat. Für mich war er schon vorher gestorben, genau wie seine ganze Sippschaft.«
»Was willst du damit sagen? Warum hast du ihm nicht erzählt, dass du sein Kind geboren hast?«
»Wozu? Er wollte es ja schon vorher nicht. Er hatte doch eine kostbare neue Liebe gefunden, die er nicht belasten wollte. Folglich habe ich mich ferngehalten. Und letztlich war es auch besser so.« Giulias Gesicht verzerrte sich vor Hass. »Sei froh, dass du kein Kind von ihm empfangen hast! Würdest du glauben, was diese ehrenwerte Familie treibt? Dass sie alle intrigieren, stehlen, töten? Dass sie alle miteinander im Kern ihres Wesens so verdorben sind, wie du es dir in deinen dunkelsten Träumen nicht vorstellen kannst? Dass sie sogar unliebsame Sprösslinge ausmerzen, um die Familie von störenden Einflüssen zu befreien?«
Diese Äußerung Giulias traf Sanchia wie ein Schlag. »Was redest du da?«, brachte sie mühsam heraus.
»Ah, ich merke, dass ich eine empfängliche Saite in dir berühre«, höhnte Giulia. »Du kannst dir also doch vorstellen, dass ich gute Gründe hatte, zu behaupten, mein Kind sei tot!«
»Lorenzo ist … er war nicht so.«
»Ach nein? Er ist genauso verlogen wie der Rest der Caloprinis!«
»Er hat …« Sanchia suchte nach Worten, um die schmerzliche Wahrheit abzumildern. »Er hat mich nur angelogen, weil er mich nicht verletzen wollte. Er wollte mich zur Frau nehmen.«
»Gut, dass du ihn nicht erhört hast. Er hätte dir nichts als Ärger gebracht.« Giulia musterte sie von oben bis unten. »Du siehst furchtbar aus, fast so schlimm wie im Gefängnis. Wie schaffst du es eigentlich immer, dich dermaßen mit Blut und Exkrementen zu besudeln? Ich weiß, dass das bei Geburten nicht ausbleibt, aus dem Grund wäre es sicher auch sinnvoll, dass du dir eine richtig
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