Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
wenn dein Besuch von gestern Nacht endlich verschwindet.«
»Wir sind bereits dabei, werte Dame«, rief es launig von der Treppe her. Giovanni de’ Medici kam die Stufen herabgepoltert, die eine Hälfte des bestickten Samtwamses bereits am Leib, die andere noch in der Luft baumelnd. Hastig zog er sich fertig an und strich sich die zerzausten Haare glatt, während er in die Küche kam. Sein übernächtigt wirkender Gefährte folgte ihm wie ein Schatten. Von den Stiefeln abgesehen, die er noch in der Hand trug, hatte Michelangelo allem Anschein nach in den Kleidern geschlafen. Er schaute verdrossen und besorgt drein. Zwei weitere Männer blieben horchend in der Diele stehen und warteten auf den Kardinal, der in aller Ruhe am Küchentisch stehen blieb und einen Kanten Weißbrot verzehrte.
Als das Hämmern an der Haustür einsetzte, stöhnte Eleonora entsetzt auf. »Sie kommen und holen uns! Ich wusste es!«
»Sei still, du dumme Gans«, herrschte Giulia sie an. Gefasst ging sie zur Tür, um zu öffnen. Die Männer waren samt und sonders in den hintersten Winkel der Küche zurückgewichen, bereit, beim leisesten Anzeichen von Aufruhr durch den Hintereingang zu fliehen.
Doch es waren keine Bewaffneten oder Mitglieder des Pöbels, sondern ein Bote des Medici-Palastes, der sich außer Atem vor dem Kardinal verneigte.
»Exzellenz, die Signoria hat Euren Bruder für vogelfrei erklärt«, japste er. »Viertausend Florin sind auf seinen Kopf ausgesetzt!«
»Das ist nicht viel für einen Medici«, sagte Giovanni verärgert.
»Den armen Leuten reicht es«, meinte Giulia süffisant. »Ein jeder aus dem Pöbel würde sich das Geld gerne verdienen.«
»Da hast du auch wieder Recht, meine Schöne.« Der Kardinal wandte sich an den Boten. »Was hat mein Bruder gesagt?«
»Nichts. Er ist sofort geflohen.«
»Wohin?«
Der Bote hob die Schultern. »Das weiß niemand. Immerhin aus der Stadt. Er hat nur das Wichtigste mitgenommen und ist fortgaloppiert, durch die Porta San Gallo, zusammen mit Orsinis Söldnern.«
»Dann ist ja alles in Ordnung. Bis auf den Umstand, dass Florenz führungslos ist. Aber auch dafür wird die Signoria sicher rasch eine Lösung finden, vorausgesetzt, der Rat wird sich einig, bevor die Stadt von den Franzosen überrannt wird.«
»Nichts ist in Ordnung!« Der Bote rang die Hände, und sein Gesichtsausdruck machte deutlich, dass er sich die Hiobsbotschaft bis zum Schluss aufbewahrt hatte. »Auf Euren Kopf sind zweitausend Florin ausgesetzt, Exzellenz!«
»Sieh einer an. Nur halb so viel wie auf den klugen Kopf meines Bruders. Das empfinde ich fast als persönliche Beleidigung. Aber nun ja, wer hat je die Politiker verstanden.« Der Kardinal wandte sich in die Runde. »Ihr könnt euch alle ein hübsches Sümmchen verdienen, wenn ihr wollt. Hat jemand Interesse daran, den Sohn von Il Magnifico umzubringen?«
Die Männer im Flur traten unruhig von einem Fuß auf den anderen.
»Besser, ihr geht, meine Freunde«, sagte Giovanni de’ Medici nachsichtig. Die Männer ließen sich das nicht zweimal sagen und verschwanden.
»Elende Feiglinge«, sagte Giulia verächtlich.
»Mein guter Buonarroti«, sagte der Kardinal. »Was ist mit dir? Solltest du nicht schon längst vor dem Volkszorn geflohen sein?«
»Sagt mir, wie ich Euch helfen kann, und ich bin Euer ergebener Diener.« Michelangelo zögerte. »Im Palast sind so viele Schätze, es wäre furchtbar, wenn der Pöbel sie auf den nächsten Scheiterhaufen wirft.« Sein Gesicht verfinsterte sich. »Die Tafelbilder von Masacio … Donatellos Skulpturen …«
»Nein, den David werden wir nicht schleppen können, und die Judith leider auch nicht. Aber die Schriften müssen mit. Und Vaters unersetzliche Kameensammlung.«
»Vergiss nicht die Münzen, Medaillen und Juwelen«, meinte Giulia. »Und Ringe und Broschen, die sind leicht zu tragen.«
»Du und deine praktische Art!« Giovanni warf ihr eine Kusshand zu. »Du wirst mir fehlen, mein Liebchen! Wir kannten uns nur kurz, aber du bist eine der bedeutsamsten Erfahrungen meines Lebens!«
»Wenn du eines Tages Papst bist, kannst du mich ja nach Rom holen.«
»Rom … eine gute Idee. Komm, Buonarroti, lass uns schauen, was aus dem Hause der Mediceer noch zu retten ist. Und dann nichts wie weg aus der Stadt, bevor die Kopfgeldjäger uns aufspüren.« Giovanni legte den Arm um Michelangelos Schultern und ging mit ihm zur Tür, blieb jedoch abrupt stehen, als er Giustiniano und Marco die Treppe
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