Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
große Wachsschürze anschaffst. Ich werde dafür sorgen, dass du eine bekommst.«
Diese letzte Bemerkung stellte eine huldvolle Entlassung dar. Sanchia fügte sich stumm, denn sie sah keinen Grund, die Unterhaltung fortzuführen. Für den Moment war alles gesagt. Sie hätte noch Fragen stellen können, vor allem über die Umstände, die Giulia zu ihrer negativen Meinung über die Familie Caloprini verholfen hatten, doch wem hätte das noch genützt?
Was sie selbst betraf, so war Sanchia weit davon entfernt, ein Wiedersehen mit diesen Leuten zu wünschen. In dem Punkt hatte sich in den letzten zwölf Jahren nichts geändert.
Nur eines war jetzt gänzlich anders. Er hatte einen Sohn. Mit jedem Blick, jeder Bewegung seines dunkel gelockten Kopfes erinnerte der Kleine Sanchia an Lorenzo. So unverhofft mit einer jüngeren Ausgabe ihres toten Geliebten konfrontiert zu werden, stürzte sie in Konflikte, die zu überschauen sie für den Augenblick völlig außerstande war. Sie spürte lediglich, dass der Anblick des Kindes am Küchentisch etwas in ihrem Inneren ausgelöst hatte, das sich wie eine Lawine zu verselbstständigen drohte. Es war, als hätte sich tief in ihr eine nur teilweise vernarbte Stelle geöffnet, als hätte jemand mit spitzem Finger so lange die innere Wunde malträtiert, bis die Kruste aufgebrochen war und frisches Seelenblut hervortreten konnte.
Lorenzos Sohn. Er war so schön, dass es wehtat. So wie es auch manchmal wehgetan hatte, seinen Vater anzuschauen, in diese strahlend blauen Augen zu blicken, sich von diesem umwerfenden Lächeln verzaubern zu lassen.
Gott, wie sehr es wehgetan hatte, damals und vorhin in der Küche!
Zerschlagen vor Müdigkeit und Trauer, fand Sanchia kaum noch genug Kraft, ihren Körper aus den schmutzigen Gewändern zu schälen.
Eine Wachsschürze wäre wirklich sehr praktisch, dachte sie zusammenhanglos, während sie sich auf ihrem Lager zusammenrollte. Im Bett nebenan schlief Eleonora, immer noch erschöpft von den Strapazen des gestrigen Kochmarathons. Vor dem Mittag würde sie es vermutlich nicht schaffen, auf den Markt zu gehen und Milch zu kaufen, egal, wie sehr Giulia sich deswegen auch ereifern mochte.
Kurz bevor Sanchia einschlief, kreisten ihre Gedanken um das von Marco aufgeworfene Thema. Schönheit und Anderssein. Beides war immer ihr Schicksal gewesen, ein Fluch und eine Last, die sie gern auf das fremdartige Schiff geladen hätte, das um ihren Hals hing, auf dass es weit fortsegle, zu unbekannten Horizonten. Oder sie selbst hätte auf das Schiff steigen und ihre Schönheit und ihr Anderssein mitnehmen können, in eine Welt, wo sie damit willkommen wäre. Doch nichts würde ihr je helfen, in diese Welt zu gelangen – außer ihre Träume.
Ihr Schlaf war unruhig und von blutigen Bildern zerrissen. Als die Glocken Sturm läuteten, hielt sie das Geräusch zunächst für einen Teil ihrer Albträume, doch dann rüttelte Eleonora sie hart an der Schulter und befahl ihr, endlich aufzustehen. In diesem Moment begriff sie, dass Gefahr ins Haus stand.
Lautes Geschrei drang von draußen durch die angelehnten Fensterläden, und von ferne war das Geräusch trommelnder Hufe zu hören, alles untermalt von den dröhnenden Glocken von Santa Maria del Fiore.
»Die Leute rotten sich zusammen und bewaffnen sich«, sagte Eleonora drängend. »Das Volk befindet sich im Aufstand!«
Mit verklebten Augen und trockenem Mund rappelte Sanchia sich hoch und schlüpfte eilig in frische Kleidung. Sie hätte berichten können, dass ihr bereits am Vorabend ein erster Vorgeschmack auf den Machtwechsel in Florenz zuteil geworden war, doch Eleonora war schon dabei, hektisch ihre Habe in einen Korb zu stopfen.
»Was hast du vor?«
»Vielleicht müssen wir fliehen. Darauf will ich vorbereitet sein.«
Giulia stand in der Tür. »Wir bleiben, bis man uns vertreibt. Auf keinen Fall werde ich mit meinem Kind in diese waffenstarrende Ungewissheit hinausziehen!«
»Wenn die Medici verjagt werden, wird es auch bald deren Freunde treffen«, prophezeite Eleonora, während sie zu dritt nach unten gingen.
»Das wird sich finden.«
»Wie kannst du nur so eiskalt sein?«
»Das ist reine Übung«, meinte Giulia nicht ohne Humor. In einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, setzte sie hinzu: »Bis auf weiteres bleiben wir im Haus und warten, wie sich die Dinge entwickeln.«
Eleonoras Miene nahm einen aufsässigen Ausdruck an. »Die Dinge würden sich bestimmt eher zu unserem Vorteil entwickeln,
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